Sechs tödliche Fehler
Es gibt Unglücke, die auf höherer Gewalt beruhen und nicht zu verhindern sind. Die Katastrophe von Duisburg mit 19 Toten und vielen Verletzten gehört nicht dazu. Diese Fehler waren schuld:
Das Gelände: Für 250000 Menschen war das Gelände des alten Duisburger Güterbahnhofs ausgelegt. 1,4 Millionen Menschen hat dagegen der Love-Parade-Veranstalter Rainer Schaller stolz im Vorfeld gemeldet. Auch wenn die nie alle gleichzeitig auf dem Gelände hätten sein sollen, liegt es auf der Hand, dass da etwas nicht zusammenpasst: „Ein geschlossenes Gelände mit einer Kapazität von 250000 Menschen passt nicht, wenn man mit mehr Besuchern rechnen muss“, sagt Polizei-Gewerkschaftsfunktionär Erich Rettinghaus. Auch der erst im April in Pension gegangene Duisburger Ex-Polizeipräsident Rolf Cebin habe „arge Bedenken“ deswegen gehabt. Aus der Duisburger Feuerwehr gab es ebenfalls massive Warnungen vor dem Areal. In einem Brief an Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland hieß es, der Platz dort reiche für die Menschen nicht aus.
Der Tunnel: Von zwei Seiten wurden Tausende in die Tunnelteilstücke gepresst, um sie zur Zugangsrampe zu bringen. Zudem war diese Strecke auch noch als Ausgangsstrecke vorgesehen. „Dass da Fehler passiert sind, ist für jeden offensichtlich“, sagt der Kieler Katstrophenforscher Martin Voss. Es sei schlicht nicht vernünftig, Menschen in zwei Richtungen durch denselben Engpass zu schicken – und das noch dazu im Dunkeln, so Voss. Dieselbe Kritik kam auch von Polizeieinsatzführern: Nur ein Ein- und Ausgang sei viel zu wenig für eine Veranstaltung dieser Größe.
Die Ordner: Schon seit Jahren fordert die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Mindeststandards für private Sicherheitsfirmen. Deren Mitarbeiter müssten für Paniksituationen speziell geschult werden und auch in der Lage sein, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. „Da reicht es nicht, jemandem nur eine Binde umzulegen und zu sagen: Du bist jetzt Ordner“, sagt der GdP-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Frank Richter.
Die Fluchtwege: Laut „Spiegel Online“ hat die Stadt den Veranstaltern sogar noch Zugeständnisse bei der Anlage der Fluchtwege gemacht. Diese hätten nicht die sonst übliche Breite haben müssen, stand im Bescheid des Amts für Baurecht. Auch auf eigene Pläne für die Feuerwehr habe die Stadt verzichtet.
Die falsche Stadt: „Ich habe vor einem Jahr Duisburg als ungeeignet für die Love-Parade abgelehnt und bin dafür als Spaßverderber und Sicherheitsfanatiker beschimpft worden“: Der Bundeschef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, attackierte die Ruhrpott-Stadt deswegen gestern hart. Auch Polizeifunktionär Rettinghaus äußert sich ähnlich: „In Berlin kann man so etwas machen, in Duisburg nicht.“ Katastrophenforscher Martin Voss sieht das allerdings anders: „Pauschal zu sagen, Duisburg ist zu klein, ist Quatsch.“ Es komme immer auf die Organisation im Detail an.
Die Großmannssucht: Warum hatte Duisburg nicht auf Bochum gehört? Man hätte zumindest gewarnt sein können. Im vergangenen Jahr rechnete der damalige Polizeipräsident von Bochum, Thomas Wenner, mit allen Überlegungen ab, in seiner Stadt die Love-Parade zu veranstalten. Er setzte sich durch, weil die Stadt auf ihn hörte, anders als Duisburg in diesem Jahr. Aber auch in Bochum bedurfte es erst seines flammenden Appells. Unter der Überschrift „Es reicht“ schrieb er: „Was denken sich eigentlich Politiker und Journalisten ... Wer manifeste Sicherheitsbedenken so wenig ernst nimmt, obwohl sie offenkundig sind, sollte sich von Verantwortung fernhalten, statt auf die einzuprügeln, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind.“ Wenner: „Auch wenn der Spaßfaktor auf der Strecke bleibt – überleben ist wichtiger.“ mue
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