Schreckensfahrt auf Ostseefähre
KIEL/ KOPENHAGEN - Es ist der Alptraum für Mannschaft und Passagiere: Das Schiff brennt! In der Nacht zum Samstag erwischt es die «Lisco Gloria» auf der Fahrt von Kiel nach Klaipeda in Litauen. Das Innenministerium in Schleswig-Holstein geht von einem Unglück als Ursache für den Brand auf der Fähre "Lisco Gloria" aus. "Eine vorsätzliche Straftat oder ein Terroranschlag sind auszuschließen."
236 Menschen sind an Bord der rund 200 Meter langen litauischen Auto- und Personenfähre, als es rund elf Kilometer nördlich der Insel Fehmarn gegen Mitternacht am Oberdeck eine Explosion gibt. Große Teile der Aufbauten gehen in Flammen auf.
Sofort kommen alle Schiffe, die in der Nähe sind, zur Hilfe. Rettungs- und Marineschiffe eilen zur Unglücksstelle. Dann ist in stockfinsterer Nacht das Wichtigste geschafft: Alle 204 Passagiere und 32 litauischen Besatzungsmitglieder, die sich in Rettungsinseln geflüchtet hatten, sind geborgen. Drei Schwerverletzte werden nach Kiel geflogen.
Es ist noch stockdunkel als die ersten Geretteten an Land kommen
Rund 20 Menschen kommen mit leichteren Verletzungen davon. Sie haben Rauchgas eingeatmet. Warum es zu der Explosion kam? Zunächst kann das niemand sagen.
Die zwischen Fehmarn und der dänischen Insel Lolland verkehrende Scandlines-Fähre «Deutschland» nimmt nach und nach die Geborgenen an Bord und steuert Kiel an. Dort stehen im Marinehafen Ärzte, Sanitäter, Feuerwehrleute und DRK-Helfer für eine psychologische Betreuung bereit. Es ist noch stockdunkel an der Förde, als kurz nach 6.00 Uhr die «Deutschland» im Tirpitzhafen festmacht - dort, wo sonst die «Gorch Fock» ihren heimatlichen Liegeplatz hat.
«Die Leute sind sehr erschöpft, einige sind körperlich in einem sehr schlechten Zustand», berichtet nach 7.00 Uhr Revierleiter Uwe Marxen von der Kieler Wasserschutzpolizei. Er war gerade an Bord, sah von der Unglücksnacht gezeichnete Frauen, Männer und kleine Kinder. «Sie haben sehr schwere Stunden hinter sich.» Eine verletzte Person wird mit der Trage von Bord geholt. Die Feuerwehr bringt 19 Verletzte mit Verdacht auf Rauchvergiftung in Kieler Krankenhäuser. «Wir haben sie auf mehrere Kliniken verteilt», sagt der Sprecher des Universitätsklinikums, Oliver Grieve. «Auch Kinder sind dabei.»
Es sollte eine Routinefahrt werden
Die Unverletzten begeben sich in den Marinestützpunkt, wo sie - abgeschirmt von wartenden Journalisten und Kameraleuten - betreut werden. Die gerade über der Kieler Förde aufgehende Sonne verheißt eine Idylle, die für die 236 Geretteten mit der Wirklichkeit nach der durchlittenen Schreckensnacht nichts zu tun hat. Die meisten kommen laut Wasserschutzpolizei aus den baltischen Staaten und Russland. Im Marinestützpunkt gibt es für sie Kaffee, Tee und etwas zu essen.
Es sollte eine Routinefahrt werden, als die «Lisco Gloria» wie immer am Freitag gegen 22.00 Uhr in Kiel ablegte. «Ankunft Klaipeda Samstag 20.00 Uhr» steht auf dem Fahrplan der Reederei DFDS LISCO. Diesmal endete die Reise nach nur zwei Stunden im Unglück. Nach der Rettungsaktion treibt die brennende «Lisco Gloria» stundenlang auf der Ostsee zwischen Deutschland und Dänemark. Dann schaffen es deutsche Spezialisten nahe der Insel Langeland an Bord; sie können Anker werfen.
In Kiel rief das Feuer auf der «Lisco Gloria» Erinnerungen an eine ähnliche nächtliche Alarmmeldung von der Ostsee wach. Es war im Juli 1999, als auf der Norwegen-Fähre «Prinsesse Ragnhild» vor Göteborg auf dem Weg von Kiel nach Oslo im Maschinenraum ein Brand ausbrach. Die fast 1200 Menschen an Bord konnten damals auch alle gerettet werden. Eine 70-Jährige starb dann später an den Folgen einer Herzattacke.
Auch an ein weiteres Feuer auf einem Schiff ist im Norden die Erinnerung hellwach: Im Herbst 1998 geriet vor der dänischen Nordseeküste der Holzfrachter «Pallas» in Brand und strandete nach tagelanger Odyssee vor Amrum. Ein Seemann starb beim Bergen der Besatzung. An ausgelaufenem Öl verendeten Tausende von Seevögeln
Für die vom Feuer auf der «Lisco Gloria» Betroffenen hieß es am Samstag nach der Unglücksnacht weiterdenken: Wer schnell nach Klaipeda musste, etwa die vielen Lastwagenfahrer, hatte schon wieder den Kieler Ostuferhafen im Blick. Zur Abfahrt am späten Abend Richtung Litauen stand die «Lisco Maxima» bereit.
dpa
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