Schrauben bis zum Durchdrehen
Vor genau 100 Jahren erfand Henry Ford die Arbeit am Fließband. Sie war eine Revolution und ist heute nicht mehr wegzudenken
München Seine Vision fasst Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts in einem knappen Satz zusammen: „Ich will ein Auto für die breiten Massen bauen“, verkündet er. Der Autobauer lässt den Worten alsbald Taten folgen. Am 14. Januar 1914, genau vor 100 Jahren, stellt er in seinem Werk bei Detroit die Produktion seines Erfolgswagens Model T um – und das erste Auto rollt vom Fließband. Es ist der Beginn einer Revolution. Der Beginn der industriellen Massenfertigung. Weltweit hält das Fließband Einzug in die Industriehallen, bei Maschinenbauern, Nahrungsmittelproduzenten und natürlich Autoherstellern.
Beim Ingolstädter Autobauer Audi zum Beispiel, der damals noch in Zwickau und Chemnitz beheimatet war, wurde ab Mitte der 20er vom Band produziert. Viel hat sich seitdem geändert. Nicht nur, dass Audi vom Osten in den Westen gezogen ist. Auch die Fließbandarbeit selbst ist heute eine andere. Geblieben aber ist die Fordsche Maxime: möglichst viel, möglichst schnell und möglichst kostengünstig zu produzieren. In der Anfangszeit stellt Ford dank Fließband alle drei Minuten einen neuen Model T fertig.
Billigere Autos, gute Löhne
Die Arbeitszeit für die Tin Lizzy, die Blechliesl, verkürzt sich von zwölfeinhalb Stunden auf 93 Minuten. Der Verkaufspreis sinkt von 850 auf 370 Dollar. Das ist ein Preis, den sich auch die Mittelschicht leisten kann. Und auch die Ford-Arbeiter am Band, die recht gut bezahlt werden, haben mit etwa vier Monatsgehältern das Geld für ein ModelT zusammen. Das Auto für alle wird Wirklichkeit, ebenso wie so viele andere Konsumgüter, die dank der günstigen Fertigung nun auch für die Masse erschwinglich sind.
Doch die Revolution hat auch ihre hässlichen Seiten. Die bekommen vor allem die Arbeiter zu spüren, die am Fließband nun nicht mehr für ganze Produktionsabschnitte, sondern nur noch für winzig kleine Bereiche zuständig sind. Manch einer von ihnen zieht nun zehn Stunden am Tag immer die gleichen Schrauben an. Und das über Jahre.
Unvergessen: Charly Chaplin in "Moderne Zeiten"
Charly Chaplin hat 1936 den Bandarbeitern, die nicht mehr denken, sondern nur noch zu funktionieren haben, in seinen „Moderne Zeiten“ ein filmisches Denkmal gesetzt. Der Tramp schraubt, bis er durchdreht. Trotzdem: Die Jobs am Band sind begehrt. „Die Arbeit wurde immer gut bezahlt, und es hat die Menschen mit Stolz erfüllt, in der Fertigung zu arbeiten“, sagt Audi-Unternehmenshistoriker Thomas Erdmann der AZ. Doch je schneller die Bänder laufen, je höher die Anforderung an das Tagespensum wird, desto mehr sinkt die Begeisterung der Belegschaft. Ab den 60er Jahren ist bei Audi eine Diskussion im Gange, wie sich die Band-Arbeit attraktiver, menschenwürdiger gestalten lässt.
Die Antwort, die der Ingolstädter Autobauer 1993 gibt, heißt Gruppenarbeit. Die Arbeiter sind seitdem in Gruppen zusammengefasst, die sich am Band in ihren Tätigkeiten abwechseln. „Jeder Mitarbeiter beherrscht viele Aufgaben und wechselt daher während einer Schicht nach rund zwei Stunden an den nächsten Arbeitsplatz“, sagt Karl Unger, Leiter Produktionsstrategie bei Audi, der AZ. „Das vermeidet einseitige Belastung und beteiligt die Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeit.“ Dazu kommt: Anders als zu Henry Fords Zeiten kommen auf dem Band unterschiedliche Modelle daher. Auch das sorgt für Abwechslung. Wie wichtig das ist, ist mittlerweile in mehreren Studien belegt. Menschen, die über eine längere Zeit monotone Arbeiten verrichten müssen, altern schneller, körperlich wie geistig, und sind auch öfter krank. Für die Firmen auf Dauer ein Minus-Geschäft.
Die Arbeit blieb stressig
Doch auch mit Gruppenarbeit: Es bleibt stressig, und die Anforderungen an die Mitarbeiter sind hoch. Ungelernte Kräfte wie zu den Anfangszeiten finden sich nicht mehr am Band. „Alle Mitarbeiter haben eine Vorausbildung“, sagt Erdmann. Längst wird nicht mehr nach Minuten, sondern nach Sekunden gerechnet. Je nach Fahrzeugtyp und Ausstattung entsteht ein Auto im Ingolstädter Werk in 150 bis 200 Arbeitstakten à 88 Sekunden. Das funktioniert nur dank dem mittlerweile umfangreichen Einsatz von Maschinen und Robotern.
Einige Industriezweige, wie die Nahrungsmittelbranche, arbeiten bereits hochmechanisiert. Was aber die Automobilbranche angeht, davon ist Unger überzeugt, wird es den Fließband-Arbeiter gerade im Bereich der Endmontage noch lange geben. „In Zukunft werden Roboter und Menschen ,Hand in Hand' arbeiten, wobei die Roboter eher die Routinetätigkeiten und das Handling schwerer Teile übernehmen und die Mitarbeiter sich auf das exakte Montieren und die qualitätsbestimmenden Arbeiten konzentrieren werden.
- Themen:
- Audi
- Autobranche