Saufen beim Schuften

Immer mehr Berufstätige putschen sich während der Arbeitszeit auf – mit Alkohol, Medikamenten oder sogar mit Kokain. Als Begründung werden Leistungsdruck und Stress genannt
von  Michael Heinrich
Manchmal wird im Büro getrunken, weil's was zu Feiern gibt. Doch oft geht's um Stressabbau und Leistungsdruck
Manchmal wird im Büro getrunken, weil's was zu Feiern gibt. Doch oft geht's um Stressabbau und Leistungsdruck

MÜNCHEN Sie saufen, schlucken oder spritzen: Immer mehr Menschen nehmen während ihrer Arbeit Drogen zu sich – Alkohol, leistungssteigernde Medikamente oder sogar Kokain. Tendenz steigend. Die Zahlen alarmieren die Experten. Mehr als zwei Millionen Arbeitnehmer geben zu, sich mehr oder weniger regelmäßig mit bestimmten Pillen zu dopen. Mindestens 10 Prozent der Berufstätigen konsumieren während ihrer Arbeitszeit Alkohol. Und – in bestimmten Berufsgruppen – gehört auch der Kokain-Konsum zum Büro-Alltag.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) hat sich in der letzten Zeit intensiv mit dem Alkoholkonsum von Arbeitnehmern beschäftigt. Gabriele Bartsch, Leiterin des Referats Grundsatzfragen bei der DHS, zur AZ: „Wir gehen davon aus, dass jeder Zehnte während seiner Arbeitszeit Alkohol konsumiert. Fünf Prozent in riskanten Mengen und weitere fünf Prozent in Mengen, die suchtgefährlich sind.“ Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten oder auf die Arbeitsabläufe. Bartsch: „Jeder fünfte Unfall bei der Arbeit oder auf den Wegen ist alkoholbedingt. Und: Bei jeder sechsten Kündigung hat der Alkoholkonsum des Beschäftigten eine Rolle gespielt.“

Besonders alkoholaffine Berufsgruppen sind Bauarbeiter oder Gastronomiebeschäftigte. „Aber das Problem geht durch alle Branchen“, sagt Bartsch. Häufig gehören die Gelegenheiten zum Genuss von Bier oder Wein während der Arbeitszeit quasi zu den Aufgaben: bei Arbeitsessen zum Beispiel oder bei Kundenkontakten. Doch viel häufiger bedient sich der durstige Arbeitnehmer beim Alkoholvorrat, der im Aktenregal oder unter der Werkbank versteckt ist. Die Begründungen der Trinker, warum sie es in Büro oder Werkstatt ohne Bier, Wein oder gar Schnaps nicht aushalten, sind meistens der Leistungsdruck oder Stress am Arbeitsplatz.

Der führt auch zu einer alarmierenden Medikamenteneinnahme. Auch da nimmt der betroffene Personenkreis zu. Rund fünf Prozent aller Arbeiter und Angestellten nehmen regelmäßig leistungsfördernde oder stimmungsaufhellende Medikamente zu sich – viele von ihnen mehrmals in der Woche. Dass die meisten dieser Präparate eigentlich nur gegen Rezept erhältlich sind, tut dem Konsum keinen Abbruch. Bartsch: „Auf dem grauen Markt im Internet können Sie jedes Medikament bekommen, das Sie wollen. Nicht alle Händler verlangen eine Verschreibung.“

Häufig ist eine andere Bezugsquelle: Kollegen oder Freunde geben Medikamente weiter, die sie selbst verschrieben bekommen haben. Auch die illegale Droge Kokain spielt in der Arbeitswelt eine Rolle. Bartsch: „Besonders von Managern, Menschen in Kreativberufen oder Bankern ist der Koks-Konsum bekannt.“ Aber auch bei den Weißkitteln, den Ärzten, gibt es eine wachsende Zahl von Konsumenten des weißen Pulvers.

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