"Tote Zeit": Was die Rauhnächte so besonders macht

Die Rauhnächte, die nun beginnen, sind mehr als eine Legende, sagt die Expertin. Vielmehr „eine wunderbare Lebenshilfe und eine Stütze für die Gegenwart und Zukunft“. Hier erklärt sie, wie's geht.
Martina Artmann |
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Eine Hütte in der im Abendnebel liegenden Schneelandschaft wird von der untergehenden Sonne beschienen.
Eine Hütte in der im Abendnebel liegenden Schneelandschaft wird von der untergehenden Sonne beschienen. © Hildenbrand/dpa

Nach altem Volksglauben rückt die Zeit, in der der Schleier zwischen Diesseits und Jenseits aufgehoben zu sein scheint, näher. Die geheimnisvollen Rauhnächte zwischen Weihnachten und Dreikönigstag öffnen Tore zur Anderswelt. Wo Geister, Dämonen, aber auch unsere Ahnen beheimatet sind, so die Legende...

Mystische Botschaften könne man in dieser Zeit des Übergangs erhalten, besondere Erkenntnisse und verblüffende Ahnungen. Die zwölf eisigen Schicksalstage und besonders ihre Nächte seien, so weiß es der Brauch, besonders für Rituale und Räucherungen geeignet. Alte Sitten und Traditionen, die ihre Macht entfalten, um finstere Gestalten zu vertreiben und einmal mehr unseren Geist schärfen und die Seele mit Zuversicht, Besinnlichkeit und Kraft für das neue Jahr erfüllen.

Die Rauhnächte geben uns die Möglichkeit, uns von den Spuren des vergangenen Jahres zu erholen, um dem neuen Jahreskreis und dem Ungewissen voller Zuversicht zu begegnen und dem Schicksal erneut die Hand zu reichen.

Wie wir das Beste aus dieser magischen Zeit ziehen können und welche uralten Bräuche uns darin unterstützen, erklärt Caroline Deiß. Die AZ sprach mit der Expertin für ländliches Brauchtum über diese geheimnisvolle Zeit und ihr Wirken.

Bayerischer Bauernhof in der Winternacht: "Es ging um das pure Überleben. Dazu haben die Menschen sich psychisch aufgebaut mit Ritualen."

AZ-INTERVIEW mit Caroline Deiß

AZ: Frau Deiß, woher stammt der Begriff Rauhnacht?
CAROLINE DEISS: Er kann mehrere Bedeutungen haben. Zum einen geht es bei dem Wort um die Winterzeit, nämlich dann, wenn das Wetter sehr rau wird. Lange vor der Zeit der Aufklärung saßen die Menschen am wärmenden Feuern beisammen und haben bei gemeinsamer Handarbeit über viele mystische Erfahrungen und über alte Bräuche gesprochen. Eine andere Erklärung wäre: die Rauchzeit. Eine Zeit also, in der die Schornsteine rauchten.

Also im Winter.
Ja. Auch hier machte man ganz besondere Erfahrungen, weil man direkt mit dem Feuer in Verbindung kam, das im Haus loderte und Wärme spendete. Und natürlich ging es auch um die Winterstürme, die besonders laut heulten. Man sagte, Wotan sei unterwegs mit seinem Gefolge. Das Heulen des Winterwindes betrachtete man in früheren Zeiten als das Heulen der Hunde und Wölfe des Wotan. Er galt als höchster Gott. Der Schamanen-Gott, der Gott der Götter der germanischen Mystik. Wenn er dann direkt über dem Haus war und der Wind an den Fensterläden riss und an den Türen, fingen die Menschen an zu beten und zu räuchern, um Wotan milde zu stimmen. Das mag sich jetzt alles ein wenig märchenhaft anhören, aber früher versuchten die Menschen, sich die Welt auf diese Art und Weise zu erklären. Man kannte ja keine Wissenschaften und hat nur mit der Natur gelebt. Die Götter von damals sind eigentlich nichts anderes als die Naturerscheinungen von heute. Die Menschen sind damit sehr gut gefahren. Dadurch konnten sie die Seele der Natur erfahren.

Alles Brauchtum um Weihnachten hat seinen Ursprung im Licht

Caroline Deiß

Die Autorin und Wildpflanzenkennerin, Jahrgang 1964, unterrichtet am Starnberger See in Führungen, Kochkursen und Seminaren über die Magie der Wildkräuter, des Räucherns und der Rauhnächte.

Wie lange gibt es die Rauhnächte bereits?
Seit Tausenden von Jahren. Man geht davon aus, dass die Rauhnächte bis in die Steinzeit zurückreichen. Man hat sie einfach noch nicht so genannt. Erst die Römer haben das niedergeschrieben und diesen Brauch den Kelten und Germanen zugeschrieben. Fälschlicherweise wird der Rauhnachtbrauch den Alpenvölkern zugeordnet, weil der Brauch hauptsächlich in den Alpenregionen erhalten geblieben ist. Dabei ist er aber europaweit verbreitet.

Ist es nur Zufall, dass die Rauhnächte mit Lichterfesten und Weihnachten zusammenfallen?
Ganz und gar nicht. Das ganze Brauchtum um Weihnachten und Licht hat seinen Ursprung wirklich im Licht. Das heißt, dass die Menschen früherer Zeiten sehr große Angst hatten, wenn der Sommer verschwand und somit das Licht. Sie hatten regelrecht Todesangst, denn wenn das Licht nicht zurückkommen würde, hätte man nicht überlebt. Es ging um Beschaffung von Nahrung. Und um das pure Überleben. Dazu haben die Menschen sich psychisch aufgebaut mit Ritualen. Dem Sonnengott zu huldigen und ihn gütig und milde zu stimmen, war eines davon. Und sie beteten dafür, dass im nächsten Jahr die Fruchtbarkeit wieder über das Land kommt. Ein Beispiel ist unser heutiger Weihnachtsbaum. Das ist ein rein heidnischer Brauch.

Spuk? Nichts Anderes als Gedanken, Ängste, menschliche Probleme

Caroline Deiß

Diesen immergrünen Baum hat man mit roten Winteräpfeln behängt, man hat um den Baum getanzt und gesungen und um Fruchtbarkeit gebetet.

"Tote Zeit": Was die Rauhnächte so besonders macht

In der Zeit der Rauhnächte sei der Schleier zwischen Diesseits und Jenseits aufgehoben, heißt es.
Ja, das stimmt. Es geht darum, dass es in der "toten Zeit“, wenn man sich mehr auf sich und das Dasein besinnt, zu einer erhöhten Wahrnehmungsempfindung kommt. Wenn man die Rauhnächte bewusst erlebt und in dieser Zeit meditiert und in sich geht, bekommt man Informationen, die man anderweitig gar nicht bekommen würde. Wenn man sich während dieser besonderen Zeit Gedanken über sein Schicksal macht, merkt man, dass man darauf plötzlich Antworten bekommt. Erstaunlicherweise solche, die einen weiterbringen. Es ist möglich, mit Meditation in den Rauhnächte Familienprobleme und andere Sorgen zu bereinigen. Und deshalb sagt man, dass in dieser Zeit der Schleier zwischen Diesseits und Jenseits aufgehoben ist. Auch über Ahnenthemen erhält man aufschlussreiche Impulse und Antworten.

Es gibt unterschiedliche Aussagen über den Beginn der Rauhnächte. Wann beginnen sie nach Ihrer Auffassung?
Nach dem, was man heute sagt, beginnen die Rauhnächte um die Weihnachtszeit herum. Das kann bereits die Wintersonnenwende um den 21. Dezember sein. Das kann Heiligabend sein oder der erste Weihnachtsfeiertag. Und dann auf jeden Fall zwölf Tage lang.

Sind in dieser Zeit auch die Tage von besonderer Energie?
Die Tage sind genauso wichtig. Und voller magischer Energie. Die Winterzeit ist ja eine eher dunkle Zeit, auch während des Tages.

Mitunter ist die Rede von finsteren Gestalten und Dämonen, vor denen man sich während der Rauhnächte in Acht nehmen soll. Alles Aberglaube?
Diese Dinge, die wir als Dämonen oder Spuk bezeichnen, sind nichts Anderes als Gedanken und menschliche Probleme oder Ängste. Naturerscheinungen sind es heute weniger. Aber diese vereinzelt auftretenden Naturerscheinungen bewirken, dass wir uns mehr mit unseren inneren Dämonen befassen und mit der geistigen Welt auseinandersetzen. Als Dämonen gelten jetzt nicht irgendwelche Geistwesen, die Angst und Schrecken bringen. Sondern eher negative Energien, die uns begleiten. Das ist auch ein weiterer Sinn der Rauhnächte.

Sie helfen uns, die Hürden des Lebens besser zu überwinden

Caroline Deiß

Man hat in dieser besonderen Zeit die Möglichkeit, sich mit seinen Schwächen und negativen Einstellungen auszusöhnen.

Was können die Rauhnächte dem Menschen der heutigen Zeit noch offenbaren?
Die Rauhnächte sind eine wunderbare Lebenshilfe, ein Lebensratgeber. Und eine Stütze für die Gegenwart, für die Zukunft und natürlich auch für die Vergangenheit. Sie helfen uns, die Hürden des Lebens besser zu überwinden. Deshalb sollte man sie aktiv nutzen, um damit dem Sinn des Lebens näher zu kommen.

Das Aufstellen des Weihnachtsbaumes kann ein wichtiges Ritual in den Rauhnächten sein.
Das Aufstellen des Weihnachtsbaumes kann ein wichtiges Ritual in den Rauhnächten sein. © IMAGO/Maximilian Koch

Welche Rituale empfehlen Sie für die zwölf Rauhnächte?
Zum einen sind das Rituale wie das Aufstellen des Weihnachtsbaums und des Adventskranzes. Wichtig dabei ist, dass diese echt sind und nicht irgendwelche Plastikkunstwerke. Man sollte die Natur darin spüren können. Allein der Duft beeinflusst uns schon enorm. Damit kann man sich sehr geborgen fühlen. Das Nächste wären natürlich die Räucherungen. Es gibt wunderbaren Weihrauch, nicht unbedingt der kirchliche Weihrauch. Man kann sehr gut Fichtenharz nehmen, das man selbst gesammelt hat. Auch Rosenblüten oder Lavendelblüten eignen sich hervorragend zum Räuchern. Beifuß, Salbei, Rainfarn und alle Gewürze der Weihnachtszeit wie etwa Nelken, Sternanis und Kardamom kann man gut räuchern. Wichtig ist auch, sich in dieser Zeit mit der Geschichte und dem Brauchtum auseinanderzusetzen. Auch das ist schon ein Ritual.

Gibt es besondere Lieder oder Klänge, die diese magische Zeit unterstützen können?
Unsere Weihnachtslieder sind ein wahrer Goldschatz. Die deutschen Weihnachtslieder sind fantastisch und wurden in der ganzen Welt gesungen. Wenn man diese Lieder gemeinsam singt, verbinden sie einen mit der Seele der Natur und schaffen zwischenmenschliche Nähe.

Magische Rauhnacht-Affirmationen

Lassen Sie sich von diesen beiden folgenden Texten ein wenig inspirieren, sitzen Sie wenige Minuten still, schließen sie die Augen und lauschen Sie den Saiten, die jetzt in Ihnen zum Klingen gebracht werden, während sie wortlos diese Zeilen in Ihr Innerstes sprechen.

RITUALE GEBEN MIR KRAFT

  • Die leuchtende Kerze wärmt mich.
  • Die Tasse Kaffee schmeckt nach Leben.
  • Das Bad in der Wanne verleiht meinen Träumen Flügel.
  • Bezaubernde Streifzüge durch die beseelte Natur atmen die Freiheit.
  • Ich gebe mich der Muße hin, lasse mich führen und spüre: Ich bin!

JEDEN TAG SEGNEN

  • Gesegnet ist mein heutiger Tag, was auch immer ich erlebt habe.
  • Der Geist der Schöpfung segnet alle meine Handlungen.
  • Mein Leben gelingt, wenn ich es segne.
  • Ich segne meine Irrtümer und Fehler, die nur Herausforderungen sind, um den Sinn meines Lebens zu entdecken.

Caroline Deiß ist Autorin des Buches "Geheimnisvolle Rauhnächte – Rituale, Rezepte, Räucheranleitungen für 2019-2021“ ISBN: 978-3-7474-0075-3 Verlag: m-vg, 10 Euro,

Ein Räucherritual: "Man kann sehr gut Fichtenharz nehmen, Rosen- oder Lavendelblüten, Beifuß, Salbei, Rainfarn und Gewürze der Weihnachtszeit."

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  • Der Münchner vor 6 Stunden / Bewertung:

    oh, die Raunächte!
    Da kann man Gartentüren aushängen, alles Mögliche mit Eiern beschmieren, Briefkästen oder Ähnliches sprengen, Kanaldeckel öffnen usw.
    Superzeit!

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  • Da Ding vor 5 Stunden / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der Münchner

    Bitte nicht Raunächte und Freinacht verwechseln.

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  • Der Münchner vor 5 Stunden / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Da Ding

    stimmt, also dann am 30. April tätig werden!

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