Sieben Mini-Gewohnheiten für ein starkes neues Jahr

Haben Sie sich fürs Neue Jahr (wieder) etwas Besonderes vorgenommen? Wie Mini-Gewohnheiten unser Gehirn überlisten – und gute Vorsätze endlich halten
von  Sigi Heidi Hohner
Nicht rennen, nicht hudeln: Mit kleinen Schritten kommt man verlässlich ans Ziel. Das gilt auch – und erst recht – für (große) Vorsätze.
Nicht rennen, nicht hudeln: Mit kleinen Schritten kommt man verlässlich ans Ziel. Das gilt auch – und erst recht – für (große) Vorsätze. © Matthias Balk (dpa)

Zum Jahreswechsel versprechen wir uns selbst oft Großes: mehr Sport, weniger Stress, endlich Ordnung, vielleicht sogar ein komplett neues Ich.

Doch schon Mitte Januar ist vieles davon wieder verpufft. Die meisten halten das für mangelnde Disziplin – doch das stimmt neuropsychologisch gesehen nicht. Der wahre Grund, warum gute Vorsätze scheitern, liegt woanders: Der menschliche Körper ist nicht für große Sprünge gebaut, sondern für kleine Schritte.

Warum große Vorsätze so leicht scheitern

Wir unterschätzen nämlich oft, wie stark unser Nervensystem möchte, dass alles beim Alten bleibt. Es ist wie ein treuer, scheuer Hund: äußerst loyal, aber schreckhaft – und vollkommen ahnungslos, warum wir am ersten Januar plötzlich einen Kraftakt starten wollen.

Während wir denken: "Ab jetzt muss alles anders werden!", spürt der Körper nur Druck. Und Druck bedeutet für das Nervensystem Gefahr.

Die Studien des Verhaltensforschers Brian Jeffrey Fogg, Professor an der amerikanischen Elite-Uni Stanford, gelten als einige der einflussreichsten Arbeiten zum Thema Verhaltensänderung. Ihr Ergebnis ist eindeutig: Sogenannte "Tiny Habits" (englisch für "winzige Gewohnheiten") wirken besser als große Vorsätze.

Nicht der Wille nämlich entscheidet über das Gelingen, denn der ist in den meisten Fällen durchaus da. Was blockiert, ist die zu hohe Schwelle des Anfangs. Wenn wir nämlich etwas zu Großes vor uns sehen, löst das eher Stress als Vorfreude aus. Das Gehirn schaltet dann in einen inneren Abwehrmodus – in den berühmten "inneren Schweinehund", der uns dann im Weg steht.

Der Dominoeffekt des Mini-Fortschritts

Kleine Schritte hingegen, so Fogg, machen keine Angst, kosten kaum Energie und erzeugen sofortige Erfolgserlebnisse. Damit aktivieren sie das körpereigene Belohnungssystem, weil Dopamin, ein Glückshormon, ausgeschüttet wird – das Gegenteil von Stress.

Dopamin nämlich treibt uns positiv an, schenkt uns Freude am Fortschritt und lässt uns langfristig dranbleiben. So entsteht ein Dominoeffekt, der oft weiter trägt als jeder brachiale Neuanfang. Man kann sich also durchaus etwas Großes vornehmen, sollte aber erst einmal klein handeln.

In 59 Tagen zur Veränderung

Dass Mini-Handlungen tatsächlich nachhaltiger wirken als große Vorsätze, bestätigt auch eine deutsche Studie der Freien Universität Berlin. Der Psychologe Dr. Jan Keller konnte zeigen, dass kleine, klar verknüpfte Gewohnheiten in durchschnittlich 59 Tagen eine stabile Routine bilden.

Solche winzigen "Selbstanschubser" sind neuropsychologisch solide: Sie reduzieren Stress, senken die Einstiegshürde und geben dem Gehirn die Botschaft: "Das ist leicht. Das kann ich jetzt gleich tun."

Genau dieser Zustand ist der Beginn jeder dauerhaften Veränderung. Nicht, weil wir "stärker" werden, sondern weil wir es uns leichter machen. Jede Mini-Handlung ist für die Zukunft eher eine freundliche Einladung, kein Befehl.

Sie massiert uns sanft in die Veränderung hinein, statt uns mit einem Schock zu überfordern. Wenn wir dem Körper ein einziges, kaum spürbares Signal geben, folgt der Rest oft fast automatisch.

7 Mini-Gewohnheiten fürs starke neue Jahr

Die folgenden, kurzen Rituale sind wissenschaftlich gut untersucht und extrem niedrigschwellig. Sie wirken beinahe banal, sind aber psychologisch betrachtet machtvoll. Sie senden die Botschaft aus: "Ich bin bereit, mich zu bewegen, ohne mich zu überfordern."

1. Für mehr innere Stärke: Eine Kniebeuge nach dem Zähneputzen
Dieser Vorschlag kommt aus dem Forschungslabor des Stanforder Verhaltensforschers Fogg. Neue Gewohnheiten "docken" sich leichter an bestehende Abläufe an. Das Zähneputzen ist eine automatisierte Routine – und gibt dem Körper ein Mini-Signal von Selbstwirksamkeit: "Ich kann mich bewegen. Ich schaffe das."

2. Für mehr Gelassenheit: Mini-Meditation vor dem Entsperren des Smartphones
Zehn Sekunden genügen: Augen schließen, tief ein- und mit einem langgezogenen "Aah…" ausatmen, bevor das Handy aktiviert wird. So entsteht ein Moment der Selbstregulation und Selbstwertstärkung.

3. Für mehr Klarheit im Kopf: Eine Minute "Ordnung im Blickfeld"
Ein halber Quadratmeter Ordnung am Schreibtisch oder im Auto genügt. 60 Sekunden Ordnung senken die mentale Reizüberflutung und erzeugen sofort Handlungsfähigkeit.

Eine Minute Ordnung im Sichtfeld schaffen: Das kann schon helfen.
Eine Minute Ordnung im Sichtfeld schaffen: Das kann schon helfen. © Christin Klose/dpa-tmn

4. Für mehr Energie: Der Zehn-Schritte-Spaziergang
Zehn energische Schritte vom Couchtisch zur Tür und zurück aktivieren den Stoffwechsel. Der kleine Energiekick motiviert zur Bewegung ohne Überwindung.

5. Für mehr emotionale Zufriedenheit: Ein Satz ins Jahresbuch
Täglich ein einziger Satz auf die Frage: "Was ist gut?", "Was ist neu?", oder "Worauf freue ich mich?". Das fördert Kohärenz – das Gefühl von Sinn und Richtung im Leben.

6. Für gesündere Entscheidungen: Der Zucker-hoch-ins-Regal-Trick
Veränderung durch Mini-Umgestaltung: Süßes höher stellen, um den Reflex zu unterbrechen. So wird aus dem Impuls ein bewusster Moment der Entscheidung.

7. Für mehr Selbstfreundlichkeit: Hand aufs Herz
Zehn Sekunden Hand aufs Herz, tiefes Atmen. Der Vagusnerv wird stimuliert, Herz und Gehirn synchronisieren sich – ein starker Moment der Selbstfürsorge.

Warum kleine Schritte größer sind als gedacht

Kleine Verschiebungen können große Veränderungen auslösen – nicht, weil sie spektakulär sind, sondern weil sie unser System in Bewegung bringen, ohne es zu überfordern.

Man könnte sagen: Kleine Schritte sind die höflichste Form der Selbstentwicklung. Sie bringen uns in Bewegung, während wir noch glauben, stillzustehen. So entsteht eine innere Dynamik, die ganz ohne Druck funktioniert.

Baby Steps und Hühnerdapperl

Im Englischen spricht man von "Baby Steps" – winzige, machbare Veränderungen ohne Perfektionsdruck.

Und auf Bairisch? Da heißt es "Hühnerdapperl" – kleine, tapsige Schritte, die zuverlässig vorwärtsführen. Keine Dramatik, nur gutmütiges Weitergehen.

Denn so sehr wir im neuen Jahr alles auf einmal wollen: Veränderung ist eher wie eine Isarbrücke. Man setzt nicht mit einem Sprung von einem Ufer zum anderen, sondern geht Schritt für Schritt hinüber. Und das Entscheidende: Die Brücke trägt schon mit dem ersten kleinen Schritt.

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