Psychoterror per Mausklick
Immer mehr Menschen missbrauchen das Internet zum Cyber-Mobbing – um sich an Lehrern, Kollegen oder ehemaligen Partnern zu rächen. Die Opfer leiden an der Hilflosigkeit, einem unbekannten Täter ausgeliefert zu sein.
Es gab keine Bremsspuren", betont der Kollege von Rudolf K. (Name von der Redaktion geändert). Der 53-jährige Versicherungskaufmann fuhr frontal gegen eine Mauer. Etwa ein halbes Jahr vorher begann sich sein Leben zu verändern. Arbeitskollegen schauten ihn auf dem Flur erbost an, steckten die Köpfe zusammen. Er tat es als Hirngespinst ab – bis zu dem Tag, als ihn sein Chef zum Gespräch bat, die Türe hinter sich schloss und ihm kündigte.
Der Grund: Rudolf K.s Bilanzen und Spesenabrechnungen wiesen zum wiederholten Male schwerwiegende Fehler auf. Sein Chef sprach von Betrug und Unzuverlässigkeit. Vorwürfe, die dem gewissenhaften Angestellten wie ein Albtraum vorkamen. Er war sich keiner Schuld bewusst. Doch die Abrechnungen sprachen gegen ihn. Was war mit den Zahlen geschehen? Nächtelang fand er keinen Schlaf, grübelte.
Ein Freund machte ihn auf Programme aufmerksam, die sich online in private Daten „rein schleichen“. Wer hatte ihm das angetan? Seine Ex-Frau, ein neidischer Kollege? Die Hilflosigkeit, einem unbekannten Täter ausgeliefert zu sein, setzte ihm immer mehr zu. Schließlich sah er nur noch einen Ausweg, um dem Psycho-Terror zu entkommen...
Kein Einzelfall. Das Internet-Mobbing, auch Cyber-Mobbing genannt, nimmt erschreckend zu. Zu den häufigsten Opfern zählen derzeit Lehrer. „Das sind unsere schwerwiegendsten Vorfälle“, sagt Manfred Keppeler, seit acht Jahren Betreiber der Seite mobbing.net, einer interaktiven Webseite mit Foren und Informationen rund um das Thema Mobbing. „In rund 80 Prozent der Mobbing-Fälle geht es Schüler gegen Lehrer.“ Der Grund, so Keppeler: „Die Jugendlichen sind die aktivsten Internet-User, machen sich die wenigsten Gedanken und nutzen die Chance, anonym Frust los zu werden.“
Am häufigsten wird durch bearbeitete Fotos und Videos, durch falsche Einträge in Gästebücher, Foren und Webblogs oder durch Veröffentlichung privater Videos oder intimen Bildmaterial das Opfer anonym verleumdet, erniedrigt und unter Druck gesetzt. Köpfe werden auf Nacktaufnahmen montiert oder in Pornos eingebaut, Personen werden in Simulationen erschossen oder brutal enthauptet.
„Das ist eine noch hemmungslosere und aggressivere Form des Mobbings“, erklärt Tamara Tappert, Rechtsanwältin aus Bremen mit Schwerpunkt Internet-Recht, „die Beweggründe sind dabei meist dieselben wie im realen Leben.“
Laut einer Studie der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft wird am häufigsten in Gymnasien virtuell bloßgestellt. Ein Drittel der Opfer sind zwischen 11 und 20 Jahre. Diese Altersgruppe bringt aber auch die meisten Täter hervor. Die Schüler, die andere Jugendliche und Lehrer mobben, sind zu 88 Prozent zwischen 11 und 20 Jahre alt und 70 Prozent männlich.
Laut Münchens Kriminal-Hauptkommissar Rainer Richard sind sich die jugendlichen Täter gar nicht über das Ausmaß ihrer „dummen Buben-Streiche“ bewusst. „Aber das war doch nur Spaß“ sagte auch der 13-jährige Thomas S. (Name von der Redaktion geändert), der gemeinsam mit Freunden von einer Gesamtschule in NRW, den Kopf des Klassenbesten und den ihrer Lehrerin auf die Körper zweier Pornodarsteller montierte. Das Video wurde per Mail, SMS und via Bluetooth blitzschnell verbreitet.
„Das Angehen gegen solche Veröffentlichungen, ist wie der Kampf gegen eine Hydra – schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach", sagt Keppeler.
Thomas S. und seine Kumpel überführten sich selbst. Sie prahlten mit ihrer denunziatorischen Montage und kamen mit einem Verweis davon. „Das Jugendstrafrecht gilt erst als 14 Jahren“, so Rainer Richard, „aber es können Schadenersatzforderungen an die Eltern gestellt werden. Sie haben ja die gesetzliche Aufsichtspflicht.“
Wie oft es zum Cyber-Mobbing unter getrennten Paaren, Arbeitskollegen, Nachbarn oder Verwandten kommt, lässt sich nicht ermitteln. Neben Jugendlichen rächen sich auch immer mehr verlassene oder betrogene Partner im Netz. „Deshalb sollte man auf private Videos und Fotos aufpassen“, rät Keppeler. Experten wie er und Kripo-Mann Richard, gehen von einer hohen Dunkelziffer aus: „Viele Opfer schweigen aus Scham und Hilflosigkeit, wissen sich nicht zu wehren.“
Dorothea Sommer
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