Pistorius: Richterin schließt vorsätzlichen Mord aus
Pretoria - Richterin Thokozile Masipa schließt im Fall Pistorius vorsätzlichen Mord aus. Zuvor hatte die Richterin einen Teil der Zeugenaussagen als unglaubwürdig bewertet. Die Nachbarn, die Schüsse und Schreie in der Tatnacht gehört haben wollen, könnten sich aus vielerlei Gründen getäuscht haben. Die Richterin muss entscheiden, ob Pistorius seine Freundin Reeva Steenkamp vor gut eineinhalb Jahren absichtlich oder irrtümlich tötete.
Pistorius erschien im schwarzen Anzug im Gericht in Pretoria. Er zeigte sich während der Urteilsverkündung zunächst gefasst. Im Laufe der ersten etwa eineinhalb Stunden bis zur ersten längeren Unterbrechung sah er zunehmend mitgenommen aus und kämpfte mit den Tränen.
Steenkamps Eltern Barry and June blickten am Morgen bei Beginn zu ihm hinüber. Mutter June Steenkamp hatte einen Strauß roter Rosen vor sich. Auch die Familie von Pistorius kam: Vater Henke, Schwester Aimee, Bruder Carl und Onkel Arnold. Carl Pistorius sitzt derzeit im Rollstuhl - er hatte sich vor einigen Wochen bei einem Autounfall schwer verletzt.
Zahlreiche Journalisten versammelten sich vor und im Gericht. Auch einige Fans des einstigen Sportidols erschienen. Sie hielten ein Schild hoch mit der Aufschrift, Pistorius sei ihr Held.
Der 27-jährige Pistorius hat die Schüsse in der Nacht zum 14. Februar 2013 - zum Valentinstag also - zwar nie bestritten. Er argumentiert aber, im Badezimmer einen Fremden vermutet und aus Panik vor dem vermeintlichen Einbrecher gehandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm einen vorsätzlichen Mord vor. Pistorius muss sich außerdem wegen mehrerer Waffenvergehen verantworten.
Bis zur Bekanntgabe des Urteils müssen sich alle Beteiligten möglicherweise bis Freitag gedulden. In Südafrika ist es üblich, dass ein Richter das Urteil erst am Ende seiner Ausführungen bekanntgibt. Masipa ließ sich nie anmerken, zu welcher Entscheidung sie tendiert. Das Strafmaß wiederum dürfte die Richterin erst mehrere Wochen nach ihrem Urteil bekanntgeben. Sie hat bei der Strafe großen Ermessensspielraum.
Richterin Masipa stellte einige für die Anklage bedeutende Zeugenaussagen infrage. So hatte ein Nachbar-Ehepaar ausgesagt, es habe eine Frau schreien hören - was darauf hindeuten könnte, dass der Sportler wusste, dass sich Reeva Steenkamp im Badezimmer aufhielt. Beide Zeugen seien zu weit entfernt gewesen, um eine zuverlässige Aussage liefern zu können, sagte Masipa.
Die Richterin hielt zudem die Aussagen von Verteidigung und Anklage zur Beziehung von Pistorius und seiner Freundin für wenig aussagekräftig. Menschliche Beziehungen entwickelten sich stets unvorhersehbar.
Der Sprinter hatte 2012 in London mit seinem Olympia-Start auf Prothesen weltweit Schlagzeilen gemacht. Der Mordprozess gegen ihn begann vor gut sechs Monaten, am 3. März 2014.
Für Pistorius sind mehrere Szenarien denkbar: Im für ihn schlimmsten Fall könnte die Richterin entscheiden, dass der Sportler seine Freundin nach einem Streit vorsätzlich und kaltblütig tötete. Als Höchststrafe könnte Richterin Masipa lebenslang Gefängnis verhängen - in der Regel kann der Verurteilte dann erst nach 25 Jahren um Gnade bitten.
Eine Prognose über den Ausgang des spektakulären Prozesses wagte bisher fast niemand. Grundsätzlich ist von einer lebenslangen Gefängnis- bis zur Bewährungsstrafe alles möglich. Selbst ein Freispruch ist nicht ausgeschlossen, gilt aber als unwahrscheinlich.
Chefankläger Gerrie Nel hatte Pistorius in seiner Schlussrede vor rund einem Monat vorgeworfen, die Wahrheit bei seinen Aussagen stets zu seinen Gunsten verdreht zu haben. Pistorius müsse in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden.
Verteidiger Barry Roux verlangte einen Freispruch und erklärte die tödlichen Schüsse seines Mandanten mit dessen Angststörung. Pistorius' überzogene Angst sei mit der hohen Kriminalitätsrate in Südafrika und der Behinderung des unterschenkelamputierten Angeklagten zu erklären.