"Pflegekräfte und Ärzte müssen endlich den Mund aufmachen"
AZ: Herr Fussek, wie steht es um die Pflege in Deutschland?
Claus Fussek: Die Ergebnisse des Arztreports sind schockierend, aber nicht neu. Es ist beschämend für die bundesdeutsche Pflegebranche, dass aus den Zuständen keine flächendeckenden Konsequenzen gezogen werden.
Welche Gründe stecken hinter dem Pflegenotstand?
Der seit Jahren bekannte massive Personalnotstand und eine fehlende fachärztliche Versorgung. Es macht mich fassungslos, wie wenig Fachärzte in den Pflegeheimen tätig sind. Und es macht mich fassungslos, wie viele Pflegekräfte fachlich wie sprachlich überfordert sind. Es gibt erschreckend häufig keine Kontrolle bei der Medikamentenverabreichung.
Wie kann die Situation verbessert werden?
In allen deutschen Pflegeheimen sind schwerst pflegebedürftige, sterbende Menschen untergebracht. Es braucht deshalb eine palliative und geriatrische Pflege in allen deutschen Heimen. Pflege und Hospiz müssen zusammengelegt werden. Es kann nicht sein, dass Betroffene, die nicht „schnell genug“ sterben, von der Hospizeinrichtung wieder ins Pflegeheim zurückverlegt werden müssen.
„Gemeinsam sind sie stärker als jede Lokführergewerkschaft“
Bislang laufen Pflege und Sterbebegleitung meist getrennt voneinander.
Es gibt bereits einige Pflegeeinrichtungen, die mit gutem Beispiel vorangehen, und mit Hospiz-Gruppen und -Ärzten zusammenarbeiten. Es gibt also keine Ausreden mehr, es geht. Es ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der Verantwortung und des Willens.
Der Pflegenotstand ist seit Jahren bekannt, Besserung ist kaum in Sicht. Warum?
Pflegekräfte, Ärzte, Kassen, Senioren und Angehörige müssen endlich den Mund aufmachen und sich solidarisieren. Gemeinsam sind sie stärker als jede Lokführergewerkschaft.
Ist hierbei nicht auch die Politik in der Pflicht?
Wenn die Politik nicht die nötigen Rahmenbedingungen schafft, müssen sie eingefordert werden. Das ist eine Aufgabe der Selbstverantwortung. Der Skandal ist ja, dass das nun der x-te Pflege-Report ist. Wo aber bleibt der Aufschrei? Wie lange soll das Thema noch verdrängt werden? Kein sterbender Mensch sollte qualvolle Schmerzen leiden. Jeder muss sich selbst fragen, wie viel ihm ein unbeschwerter Tod wert ist.