Panik, Angst und Leichen: Ein Augenzeuge berichtet aus Haiti
PORT-AU-PRINCE - Schreckliche Szenen spielen sich auf den Straßen Haitis ab. Die eingeflogenen Rettungs- und Hilfskräfte haben in dem Katastrophengebiet große Schwierigkeiten ihre Arbeit zu erledigen. Ein Augenzeuge berichtet.
Hauke Hoops ist Nothilfekoordinator der Organisation CARE und in Port-au-Prince vor Ort. Er schildert, wie schrecklich die Situation nach dem verheerenden Erdbeben ist. Lesen Sie hier seinen Augenzeugenbericht.
„Das ist eine der größten Katastrophen, die ich je gesehen habe. Und es ist eine riesige logistische Herausforderung. Alles muss mit dem Flugzeug oder dem Boot herangeschafft werden, aber der Hafen ist zerstört.
Die Sicherheit ist eine große Sorge hier. Das Gefängnis ist zerstört und 5.000 Gefangene sind auf freiem Fuß. Dadurch ist eine Menge Angst entstanden. Das ist eine sehr gefährliche Situation hier, mit den wiederholten Nachbeben und den entflohenen Häftlingen. Die Spannung steigt. Wir müssen so schnell wie möglich mit der Verteilung begonnen, aber es ist schwierig, Sicherheit zu garantieren und die Verteilung zu organisieren. Die Menschen sind jetzt seit zwei Tagen ohne Nahrung, und sie verzweifeln. In dieser Lage sind sie bereit, alles zu tun, um Wasser und Nahrungsmittel für ihre Familien zu bekommen.
Wir haben 133 Mitarbeiter in Haiti, aber unsere Kollegen in Port-au-Prince haben alles verloren – ihre Häuser, ihre Familien, alles. Die Kollegen sind völlig traumatisiert. Sie versuchen zu helfen, aber wir müssen zusätzliche Unterstützung aus anderen Landesteilen und internationale Helfer dazuholen. Wir haben das schon früher erlebt, wenn Kollegen Familienmitglieder verloren haben, dass versuchen sie, ihre Gefühle zu kontrollieren, sich um ihre Familien zu kümmern und gleichzeitig auf die große Katastrophe zu reagieren. Man kann sich vorstellen, wie schwierig das ist: Wenn man die eigenen Kinder verloren hat, es aber unglaublich viel zu tun gibt und jeder Hilfe braucht. Es ist ein Albtraum.
Unglaublich viele Menschen sind auf den Straßen unterwegs und suchen nach Hilfe. Überall liegt Schutt. Gebäude sind wie Kartenhäuser zusammengebrochen. Ich sehe viele Menschen, die Personen unter den Trümmern suchen. Es kommen viele Bergungstrupps, aber das ist nicht genug. Die Menschen machen einen großen Teil der Rettungsarbeit selber, graben in den Trümmern mit bloßen Händen und Schaufeln. Sie lauschen, um Hilfeschreie von eingeschlossenen Menschen zu hören. Die Hilfeschreie werden immer weniger. Es gibt so viele Orte, wo Hilfe nötig ist, aber die Suchtrupps können nicht überall gleichzeitig sein.
Es liegen Leichen auf der Straße, überall sind Leichen. Die Menschen laufen an ihnen vorüber, es scheint fast, als schliefen sie. Es ist furchterregend. Die Leichen sind in Reihen aufgebahrt. Unsere erste Priorität ist nun die Beerdigung der Leichen. Es gibt die Angst, dass Krankheiten ausbrechen, weil Wunden unbehandelt bleiben und es an Hygiene fehlt. Müll liegt überall.
Die Menschen brachen sauberes Trinkwasser. Das Wassersystem ist nicht komplett zerstört. Die Leitungen sind kaputt, aber es kommt noch Wasser raus. Es gibt also Zugang zu Wasser, aber Reinigungstabletten werden gebraucht. Eine Lieferung von Tabletten von CARE ist gestern abend angekommen und wir müssen diese schnell verteilen. Wir brauchen aber noch viel mehr.
Es wird noch Strom produziert, aber die Leitungen sind zerstört. Es liegen Stromleitungen auf den Straßen und die Menschen gehen über sie hinweg. Wenn sie den Strom jetzt wieder anstellen, werden vielleicht viele Menschen dadurch verletzt.
Der Zugang ist ein großes Problem. Wir können nicht alle Gebiete über Straßen erreichen. Es ist schwierig, LKWs zu bekommen, entweder haben sie einen leeren Tank, oder die Tankstellen sind leer. Hier gibt es nichts mehr.
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