Nur noch ein Funke Hoffnung

Die Zeitbombe tickt: Wasserwerfer, Drohnen Hubschrauber – wie im Unglücks-AKW der Super-GAU verhindert werden soll.
Michael Heinrich |
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Es hätte beinahe etwas Rührendes, wenn die Lage nicht so ernst wäre: Mit knatternden Rotorblättern fliegen Hubschrauber über das schwer beschädigte Atomkraftwerk Fukushima. An jedem hängt eine große, orangefarbene Tonne. Weit über einem defekten Reaktorblock öffnet der Pilot die Tonne – und 7,5 Tonnen Wasser, das vorher aus dem nahen Meer aufgenommen wurde, ergießen sich über dem im Inneren des Gebäudes schwelenden Höllenfeuers.


Doch sogar auf den aus großer Entfernung aufgenommenen Videos ist zu erkennen, das nur ein Bruchteil des Wassers sein Ziel erreicht: Die hoch erhitzten Sicherheitsbehälter, die dringend der Kühlung bedürfen, um den Super-Gau zu verhindern. Eine große Wassermenge versprüht wirkungslos in der Luft.

„Einen Tropfen auf dem heißen Stein” nennt Greenpeace-Atomexperte Karsten Smid die Bemühungen der Hubschrauberpiloten. „Die Frage ist, wie viel von dem Wasser, das abgeworfen wird, überhaupt in dem Reaktorbehälter ankommt. Die Situation sieht also sehr mies aus”, sagt Smid.

Dabei ist der Kampf gegen den schrecklichsten aller Unfälle längst zu einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit geworden. Jetzt werde sich entscheiden, so sagen übereinstimmend alle Experten, ob das große Atom-Desaster in Fukushima noch verhindert werden kann. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz: „Wenn diese Kühlversuche scheitern, kommt es zur Katastrophe. Das wird sich wahrscheinlich am Freitag, spätestens am Samstag entscheiden, ob es noch gelingt, da irgendetwas zu machen.”

Die Experten vom Französischen Institut für Strahlenschutz und Nuklearsicherheit (IRSN) geben den japanischen Behörden sogar noch weniger Zeit: „In den nächsten 48 Stunden entscheidet es sich”, sagte IRSN-Direktor Thierry Charles – bereits am Mittwochnachmittag. Und deswegen kämpfen die Rettungskräfte gleichzeitig an mehreren Fronten. Ein Überblick:

Die Hubschrauberfeuerwehr: Ihr Einsatz ist heikel und gefährlich. Am Mittwoch mussten die Flüge schon kurz nach ihrem Beginn abgebrochen werden. Der Grund: Die radioaktive Strahlung über dem Atomkraftwerk war für die Piloten zu gefährlich – trotz der Bleiplatten, die am Boden der Helikopter angebracht sind. Nur viermal in 20 Minuten wurde Wasser über Block 3 entleert, dessen Dach bei einer Explosion abgerissen worden war. Rund 260 Flüge sind nötig, um nur eines der 2000 Tonnen fassenden Kühlbecken zu füllen. Von ihnen gibt es mindestens vier. Am Donnerstag gingen die Flüge dann beinahe ununterbrochen weiter – allerdings ohne den erhofften Erfolg: Die Radioaktivität über der havarierten Anlage war unverändert stark. Ob die Temperatur der Sicherheitsbehälter sank, ist nicht bekannt. Ein Erfolg ist zweifelhaft: Nur wenig Wasser trifft die Sicherheitsbehälter, auch weil die Piloten wegen der Strahlung im Vorbeifliegen das Wasser ablassen müssen.

Die Besatzungen brachten dabei eine neue Hiobsbotschaft mit: Block 3 enthält offenbar noch weniger Kühlwasser als der bisher am riskantesten eingeschätzte Block 4, in dem die dort gelagerten Brennelemente praktisch trocken liegen.

Die Wasserwerfer: Noch hilfloser muten die Versuche an, die Höllenfeuer mit Wasserwerfern einzudämmen. Die Spezialfahrzeuge sollen gezielt durch die eingestürzten Kraftwerksmauern spritzen und so Sicherheitsbehälter und Brennstäbe kühlen. Dies ist vor allem bei Reaktor 4 wichtig, dessen Dach zum großen Teil noch intakt ist, wodurch der Einsatz aus der Luft erschwert ist. Am Nachmittag scheiterte dieser Versuch.

Die Drohnen: Ein großes Problem bei den Rettungsversuchen ist, dass niemand weiß, wie es im Inneren der Reaktoren wirklich ausschaut. In den Gebäuden befinden sich keine funktionierenden Kameras, von Menschen betreten werden können sie ohnehin nicht. Deswegen soll jetzt eine Drohne, also ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug, eingesetzt werden. Die „Global Hawk” der US-Luftwaffe soll mit hochauflösenden und Wärmebildkameras möglicherweise wichtige Einblicke gewähren. Am Abend lieferte die Drohne die ersten Fotos.

Die Notstromleitung: Auf sie setzen die japanischen Behörden die größten Hoffnungen. Noch gestern Nachmittag sollte damit begonnen werden, Starkstromkabel zu den teilzerstörten Reaktoren 1 und 2 zu legen. Mit ihrer Hilfe sollen die lahmgelegten Kühlungen der Anlagen wieder in Gang gebracht werden. Außerdem soll ein provisorisches Notstromaggregat installiert werden und in Betrieb gehen.

Vom Erfolg oder Misserfolg dieser Last-Minute-Rettungsaktion hängt das weitere Schicksal der Atomanlage Fukushima ab.

Im besten Fall gelingt es, die überhitzten Sicherheitsbehälter und Brennstäbe so weit herunterzukühlen, dass keine weitere Explosionsgefahr besteht und der Austritt von Radioaktivität gestoppt oder zumindest auf ein erträgliches Maß reduziert wird. Eine Reparatur der Anlage ist aber auch dann unmöglich. Weil dort große Mengen radioaktiver Substanzen – vor allem auch Plutonium – vorhanden bleiben, müssen Umwelt und menschliche Gesundheit andauernd und nachhaltig vor der Strahlung geschützt werden. Dies kann ausschließlich durch den Bau eines Sarkophages über der gesamten Anlage geschehen, wie er auch schon das immer noch schwelende Höllenfeuer im zerstörten Reaktor von Tschernobyl abschirmt. Dort muss das Gebäude schon nach 25 Jahren dringend erneuert werden. Kosten (für nur einen Block): 1 Milliarde Dollar. In Fukushima müssten sechs Blocks abgeschirmt werden.

Im schlimmsten Fall wird sich – bei misslungener Kühlung – das Innere der Sicherheitsbehälter stark aufheizen, sich der Druck extrem erhöhen, bis es zu einer Explosion kommt. Die würde nicht nur den Behälter zerstören, sondern ungeheure Mengen an Radioaktivität freisetzen. Das wäre der Super-GAU à la Tschernobyl.

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