"Noch mehr Zeugs für die Welt"

Alle Einnahmen an mich! Mit dem Briten Damien Hirst wirft erstmals ein Künstler seine Arbeiten selbst auf den Markt. Die Auktion bei Sotheby's ist ein potentielles Riesengeschäft - mit Risiken für alle Seiten.
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Damien Hirst
dpa Damien Hirst

Alle Einnahmen an mich! Mit dem Briten Damien Hirst wirft erstmals ein Künstler seine Arbeiten selbst auf den Markt. Die Auktion bei Sotheby's ist ein potentielles Riesengeschäft - mit Risiken für alle Seiten.

Versoffen sieht er auf den neuesten Bildern aus, der angeblich reichste Künstler Großbritanniens. Aber: Moment mal - hieße das auch, dass Damien Hirst mehr Geld verdient hat als die Größen des Britpop, als die Gallagher-Brüder? Oder gelten die gar nicht als Künstler? Egal, abgerockt sind sie alle drei, auch, wenn der mittlerweile 43-Jährige Hirst derzeit wie eine Mischung aus durchschnittlichem Werbefuzzi (ganz in Schwarz, dicke schwarze Brille) und Pop-Autor Nick Hornby aussieht. Und freundlich ist er auch. Wo bitte soll ich denn stehen, signalisiert Hirst bei der Vorstellung seines jüngsten Coups «Beautiful Inside my head forever» in London. Hier vielleicht, vor dem Hai in Formaldehyd?

Über 200 Arbeiten, alle neu

Oder hier, vor dem Zebra hinter Glas? Oder dort, vor dem Punktbild, oder doch viel lieber vor der weißen Engelsstatue, die ein wenig aussieht, wie von einem Friedhof hergeholt? Es war eine bizarre Präsentation, die vor einigen Tagen in den Räumen des Londoner Auktionshauses Sotheby's stattfand. Irgendwo zwischen Rummelplatz und Ramschladen anzusiedeln, aber natürlich trotzdem teuer, teuer, meine Herrschaften! Selbst der dreiteilige Katalog glitzert golden, 223 Arbeiten des Künstlers sind dort abgebildet, und noch ein bisschen wichtiger: Ja! Sie sind wirklich alle zu kaufen.

Am heutigen Montag und am gestrigen Dienstag ist Auktionsbeginn, zu später Stunde, fast ein bisschen wie bei einer Vernissage eben. Doch die ist es ja nun nicht mehr, auch wenn die Vorbesichtigung der Werke, die da unter dem Hammer kommen, natürlich auch ein wenig von einer Ausstellungsbegehung hatte. Doch alle Zeichen von Hochkultur oder elitärer Ausstellungskultur hat der einstige Star der «Young British Artists» der Präsentation seiner Werke, die allesamt in diesem Jahr entstanden sind, ausgetrieben. Kein Galerist darf die neuen Arbeiten präsentieren, die Fäden bis hin zum Verkauf an einen solventen Sammler ziehen und dann - so ist es in der Branche gängig - als Entlohnung bis zu 50 Prozent des Verkaufspreises sein eigen nennen.

Hirst bricht mit dieser Konvention des Kunstbetriebes und versteigert seine Werke auf eigene Rechnung, aber auch auf eigenes Risiko hin. Die Schätzungen über die zu erwartenden Einnahmen überschlagen sich. Bis zu 80 Millionen Euro sollen die Werke - eine Art Best of des Ouvres - einbringen. Wenn - ja, wenn es denn gut läuft. Sicher, der weltweite Kunstmarkt läuft seit Monaten heiß, und Hirst ist einer der Stars dieser längst von Investitionen statt der Suche nach Inhalten geprägten Szene. Andererseits könnten auch seine Geschäfte noch besser laufen.

Notfalls kauft er selbst

Angeblich soll Hirsts Geschäftspartner, der White-Cube-Macher Jay Jopling auf hunderten unverkaufter Werke sitzen. Kein Wunder bei den Hirst'schen Produktionsbedingungen, die längst an eine Manufaktur erinnern. Auch immer wieder gern beschworen ist das letzte Mammut-Projekt des Mannes, der wahlweise als rücksichtsloser Selbstdarsteller oder gewiefter Geschäftemacher porträtiert wird. Sein mit Diamanten besetzter Totenschädel, der 2007 unter viel Medieninteresse für 50 Millionen Pfund an eine Investorengruppe ging, stellte sich hinterher als Spekulanten-Mogelpackung heraus - Hirst selbst war, so hämten britische Medien, Teil jener ominösen Investorengruppe, die letztlich den Zuschlag erhielt. Sitzt also auch am heutigen Montagabend ein Vertreter der Hirst'schen Business-Gruppe mit im Parkett? Auszuschließen ist das nicht, ebensowenig, dass andere solvente Besitzer seiner Werke kräftig mitbieten, um einem - sollte die Auktion ein Flop werden - möglichen Werteverlust ihrer kapitalen Kunstanlagen entgegenzuwirken.

Schon wird geraunt, dass die Versteigerung ein Kommentar auf den boomenden Kunstmarkt ist, ein genialer Schachzug, der Hirst nach etlichen Jahren nah an der kreativen Belanglosigkeit wieder die nötige Beachtung schenkt. Der Künstler selbst lässt sich wie immer nicht in die Karten schauen und hält sich mit Ironie alle Ernsthaftigkeiten vom Leib. Auf dem Videoportal Youtube etwa kommentiert er selbst aus dem Off kleine, noch nicht einmal minutenlange Filmchen, in denen die Auktion «Beautiful inside my head forever» ebenfalls beworben wird. In einem dieser mit Gitarrenriffs unterlegten Clips sagt Hirst, dessen Akzent noch immer seine Herkunft aus der Arbeiterklasse verrät: «Zeugs (Stuff, engl.), es gibt wirklich genug Zeugs auf der Welt», und fügt - nach einer Kunstpause und einen Kameraschwenk auf die im Aufbau befindlichen Werke - frech-fröhlich hinzu: «Hey, lasst uns einfach noch mehr Zeugs dazutun!» Wer also bietet mehr?

(NZ)

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