Noch lange nicht vorbei

TOKIO Am 11. September ist es genau ein halbes Jahr her, dass ein Erdbeben und ein Tsunami Japan in eine Atomkatastrophe stürzten. Sechs Monate später haben die Japaner noch immer mit den Folgen zu kämpfen.
23000 Menschen kamen bei dem Unglück am 11. März ums Leben oder werden weiterhin vermisst, rund eine halbe Million wurde obdachlos. Heute leben noch rund 85000 Menschen in Notquartieren. Das Gebiet rund um die Atomruine Fukushima bleibt wohl noch lange unbewohnt. Aus der Ruine entweicht immer noch Radioaktivität. Eine Untersuchung bei japanischen Kindern zeigte, dass bei 45 Prozent von 1000 Untersuchten bereits Anzeichen von Strahlenbelastung an der Schilddrüse festgestellt wurden.
Japans neuer Premier Yoshihiko Noda besuchte nun das Katastrophengebiet und dankte den Arbeitern, die seit sechs Monaten versuchen, das Atomkraftwerk zu stabilisieren. Bisher hat das Parlament umgerechnet 54 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der zerstörten Städte zur Verfügung gestellt. Doch der Gesamtschaden beläuft sich laut der japanischen Regierung auf 230 Milliarden Euro.
Die Menschen warten auf das Geld, um ihre Ortschaften wieder aufzubauen. Viele Gemeinden gleichen Geisterstädten. 600000 Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Weitere Hilfspakete sollen noch im September folgen – eine Verzögerung ist aber wegen der Regierungsumbildung wahrscheinlich. Der neu gewählte Ministerpräsident möchte die Politik seines gestürzten Vorgängers fortsetzen und Japan auf Dauer unabhängiger vom Atomstrom machen.
Derzeit sind 30 von 54 Reaktoren außer Betrieb, doch um kommende Stromengpässe zu vermeiden, sollen viele Kraftwerke bald wieder angeschaltet. Immerhin: Die geplanten 14 neuen AKW sollen nicht mehr gebaut werden. Den Glauben an die Atomkraft und die Regierung haben die Japaner längst verloren. Laut einer Umfrage glauben acht von zehn, dass ihnen nach dem 11. März von offizieller Seite nicht die Wahrheit über das gesamte Ausmaß erzählt wurde. 82 Prozent gehen davon aus, dass bei einer weiteren Katastrophe von Tokio keine zuverlässige Hilfe zu erwarten ist.