Neues Buch "Ich will": Hoch hinaus trotz Handicap
AZ-interview mit Rainer Zitelmann: Der Autor wurde 1957 in Frankfurt geboren und ist Historiker, Soziologe und Unternehmer - tätig war er unter anderem im Verlagswesen. Er hat bisher 25 Bücher veröffentlicht. Auf dem Foto ist er mit Felix Klieser (r.) zu sehen.
AZ: Herr Zitelmann, Sie haben eine interessante Umfrage in Auftrag gegeben. Die Fragestellung: Wie viele bekannte Personen mit Einschränkungen fallen den Deutschen auf Anhieb ein? Es waren ziemlich wenige - was sagt das aus?
RAINER ZITELMANN: Nun ja, mir wären wahrscheinlich vor einigen Jahren auch nicht sehr viele eingefallen. Vielleicht Stephen Hawking, Stevie Wonder, Ray Charles. Es wird einfach zu wenig berichtet von Menschen, die trotz Behinderung extrem erfolgreich sind. Höchstens dann, wenn die Paralympics stattfinden, wo man sieht, welche großartigen Leistungen Behinderte vollbringen können. Deshalb habe ich ein Buch mit 20 Porträts geschrieben - und selbst gestaunt, als ich mich mit dem Leben dieser Menschen beschäftigte.
Rainer Zitelmann: Ein Buch als Reaktion auf die eigene Krankheit
Sie selbst leiden seit dem 61. Lebensjahr an einer Augenkrankheit, die Ihnen das Sehen erschwert. Wie sind Sie mit der Diagnose umgegangen, wenn man vorher unbeschwert ein gesundes Leben genossen hat?
Ich habe mir zuerst große Sorgen gemacht, weil der Arzt meinte, im schlimmsten Fall werde ich irgendwann nicht mehr lesen können. Da ich mehrere Tausend Bücher habe und eigentlich fast den ganzen Tag lese, musste ich das erstmal verkraften. Ich hatte jedoch zwei Jahre nach dieser Nachricht eine erste, relativ riskante Operation, die zum Glück erfolgreich war. Jetzt im Oktober habe ich eine zweite Operation. Ich habe mich als Reaktion auf die Erkrankung mit erfolgreichen Menschen befasst, die behindert sind. Und seit ich das getan habe, kann ich meinen Wahlspruch anwenden: "Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann - und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." Die Krankheit hat schon mindestens ein sehr positives Ergebnis gehabt, nämlich das Buch "Ich will".
Was können wir alle von den Personen lernen, die Sie in Ihrem Buch porträtieren?
Wir können lernen, dass entscheidend unsere innere Einstellung ist. Sogar wichtiger als die Gesundheit. Wie unser Leben verläuft, wird durch unsere Art zu Denken bestimmt. Wir haben nicht immer die Wahl, was uns passiert im Leben, aber wir haben immer die freie Wahl, wie wir darauf reagieren.
Welche der porträtierten Personen - sie sind allesamt sehr unterschiedlich, auch ihre Schicksale und Talente - beeindruckt Sie ganz besonders und warum?
Ich finde Felix Klieser sehr beeindruckend. Ein junger Mann, 30 Jahre alt, der ohne Arme geboren wurde. Er ist einer der besten Hornisten der Welt, hat mehrere CDs aufgenommen und spielt in Europa, Asien und den USA. Wir haben uns jetzt schon öfter getroffen. Vielleicht werden wir sogar zusammen Vorträge halten.

Und wen noch?
Faszinierend fand ich auch den Amerikaner Eric Weihenmayer, mit dem ich ein Interview geführt habe. Er war der erste Blinde, der den Mount Everest bestiegen hat - und die sieben Summits, also die höchsten Berge auf den sieben Kontinenten. Fasziniert hat mich die Biografie des Engländers James Hohlman: Er war blind und reiste vor 200 Jahren 400.000 Kilometer, eine Strecke, die länger ist als von der Erde bis zum Mond - und lernte dabei 200 Kulturen kennen.
An wen möchten Sie das Buch richten?
Es ist ein Motivationsbuch, so wie mein Buch "Setze dir größere Ziele". Es soll Menschen Mut machen und ihnen zeigen: Egal, wie schwierig die äußeren Umstände sind, egal, mit welchen Schicksalsschlägen du kämpfen musst: Du kannst immer ein Sieger sein, wenn du die Einstellung hast, die Leute wie Ray Charles, Stevie Wonder oder Stephen Hawking haben.
Welche Reaktion wünschen Sie sich, wenn Sie jemandem von Ihrer Erkrankung erzählen?
Ich rede darüber, aber lieber eigentlich über andere Themen. Also ich wünsche mir dann, dass wir fünf Minuten später über ein anderes Thema sprechen, am liebsten über mein nächstes Buch, aber gerne auch über Politik und Wirtschaft oder darüber, wie man reich wird, oder über schöne Frauen.
Margarete Steiff: Teddybär-Imperium trotz Kinderlähmung
Die Steiff-Teddybären kennt in Deutschland fast jeder - doch die Frau, die hinter dem Unternehmen steckt, hat schon als Kleinkind ein schweres Schicksal verkraften müssen: Margarete Steiff, geboren 1847, konnte plötzlich nicht mehr gehen, die Beine gelähmt, der Arm beeinträchtigt. Die Diagnose: Kinderlähmung.
Der Arzt urteilte damals laut dem Buch "Ich will": "unfähig für den Vollgenuss des irdischen Lebens wie für die spätere Erfüllung der Ansprüche, welche die Gesellschaft an ihre einzelnen Glieder zu machen berechtigt ist". Arztbesuche, Klinik, Kur - alles andere als das, was man mit einer unbeschwerten Kindheit verbindet. Doch das Mädchen entwickelte Fantasie, schreibt Rainer Zitelmann. Und enorme Willenskraft - ihren unerreichbar scheinenden Wunsch, Zither zu spielen, setzte sie sich in den Kopf und durch mit den Worten: "Ich werde es lernen".

Mit der Mutter begann sie - unter Schmerzen - zu nähen, daraus ergab sich die Idee der Stofftiere. 1880 stellte sie erste Prototypen her. "1886 wurden über 5.000 Exemplare des Elefanten hergestellt und erstmals auch über 100 Affen", heißt es im Buch. 1893 bekam sie ihren Eintrag ins Handelsregister. Wie wäre ihr Leben ohne Beeinträchtigung verlaufen? Der Autor schreibt, sie hätte vermutlich die erwartete Rolle als Hausfrau und Mutter einnehmen müssen und nicht ihr eigenes Geschäft aufbauen können. "Was ihr half, waren ihre lebensbejahende Einstellung und ihre Kreativität." Steiff starb 1909 - Lungenentzündung.
Felix Klieser: Einer der besten Hornisten der Welt - ohne Arme
Er gehört zu den besten Horn-Spielern der Welt - eine besondere Meisterleistung, denn Felix Klieser hat von Geburt an keine Arme. Er kommt 1991 zur Welt und träumt schon mit vier Jahren davon, dieses schwierige und hochempfindliche Instrument zu spielen, heißt es in dem Buch von Rainer Zitelmann.

Aber warum ausgerechnet ein Musikinstrument, von dem es heißt, man könne es kaum fehlerfrei spielen? Er sagte einmal über seine mögliche Motivation dahinter: "Vielleicht hab' ich es mir deshalb ausgesucht, weil ich dachte: Wenn ich's damit schaffe, schaff ich's mit allem." Er erledigt alle alltäglichen Dinge statt mit den Händen mit den Füßen. Über Hände denke er für gewöhnlich gar nicht nach, sagte er einmal. Sein Musizieren wird im Buch so beschrieben: "Seine Zehen greifen die Ventile des Horns auf Schulterhöhe, während seine Ferse auf dem Ständer ruht und sein linkes Bein dabei fast einen rechten Winkel beschreibt. Den rechten Fuß benutzt er nur hin und wieder, um den Dämpfer in Position zu bringen."
Klieser wird mit einem Drang nach Perfektion beschrieben, er wolle der beste Beste sein. Harte Arbeit, Fleiß, Ausdauer und auch den Mut, Dinge trotzdem zu wagen, auch wenn andere sagen, professionell könne er dies wohl nie ausüben - das hat Felix Klieser nach ganz oben in den Musikhimmel gebracht. Aus seiner Sicht sind die richtige Einstellung und Erfolgswille wichtiger als reines Talent.
John Forbes Nash Jr.: Mathematik-Genie mit Schizophrenie
Auch psychische Leiden sind Thema in "Ich will". John Forbes Nash Jr. war ein begnadeter Mathematiker - und schizophren: Sein Leben wurde frei verfilmt in "A beautiful Mind". Im Buch heißt es: "Bis etwa zu seinem 30. Lebensjahr vollbrachte er zahlreiche geniale mathematische Leistungen. Dann erkrankte er an Schizophrenie, um schließlich nach Jahrzehnten (was ungewöhnlich genug ist) wieder gesund zu werden" - das sei bei etwa 20 Prozent der Fall.

Schon als Kind, er wurde 1928 in West Virginia geboren, bevorzugte er es, zu lesen und mit seinem Chemiebaukasten zu spielen. Jedoch nicht mit anderen Kindern. In der Schule galt er als schwierig, anders und kritisierte schon mal die Lehrer für ihre Rechnungen. Er gewann später den Nobelpreis für seine Spieltheorie. Doch im Laufe der Zeit veränderte sich sein "Verhalten von Verschrobenheit in Richtung Geisteskrankheit". Er spricht etwa von Außerirdischen und einem intergalaktischen Führerschein.
Später sagt er über seine Erkrankung: "Ich denke, psychische Krankheit oder Wahnsinn kann auch eine Flucht sein. Menschen entwickeln in der Regel keine Geisteskrankheit, weil sie sich in den glücklichsten Situationen befinden." Und: "Wenn man sich darum bemüht, seine Gedanken ‚rational' zu erklären, kann man die irrationalen Hypothesen der wahnhaften Denkweise schnell erkennen und verwerfen." Er verunglückt nach einer Preisverleihung 2015 mit 86 Jahren mit einem Taxi.
Rainer Zitelmann: "Ich will: Was wir von erfolgreichen Menschen mit Behinderung lernen können"; FBV; Hardcover, 25 Euro.
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