Neue Studie zur Lebenserwartung: Was uns wirklich länger leben lässt

Es kommt auf die innere Haltung an: Wer das Älterwerden positiv und als Weiterentwicklung empfindet, erhöht seine Lebenserwartung deutlich. Das zeigt eine neue Studie aus Greifswald.
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Es ist nie zu spät, noch Träume wie eine Reise zu verwirklichen - so eine Studie. Foto: imago
Es ist nie zu spät, noch Träume wie eine Reise zu verwirklichen - so eine Studie. Foto: imago © imago images

Ein langes Leben wünschen sich viele - und so einige würden das gerne auch selbst in die Hand nehmen. Nicht umsonst gibt es unzählig viele Anti-Aging-Produkte und Wundermittelchen, die Jugendlichkeit und langes Leben versprechen.

"Menschen leben 13 Jahre länger, wenn sie Altern als Entwicklungsprozess sehen"

All das braucht es gar nicht. Denn es kommt auch auf die positive Haltung zum Älterwerden an. Das haben nun zwei Forscherinnen aus Greifswald als wichtigen Faktor bestätigt. Das Ergebnis ihrer Analyse: "Menschen leben erstaunliche 13 Jahre länger, wenn sie Altern als Entwicklungsprozess sehen", heißt es in ihrer Mitteilung.

Verantwortlich für die Studie sind Dr. Susanne Wurm und Dr. Sarah Schäfer. So sind sie vorgegangen: Bereits im Jahr 1996 sind 2.400 Teilnehmer des Deutschen Alterssurveys zu ihrer Sicht auf das eigene Älterwerden befragt worden. Die Teilnehmer waren damals zwischen 40 und 85 Jahre alt. Über 23 Jahre wurde dokumentiert, wer wann starb. Insgesamt waren dies 871 Personen.

Bereits 2002 gab es eine ähnliche Studie in den USA, die 660 Personen ebenfalls über 23 Jahre hinweg untersuchte. Diese kam damals zu dem Ergebnis, dass Menschen mit einer positiveren Sicht auf das Älterwerden sieben Jahre länger leben könnten. Die aktuelle Studie gibt nun in größerem Umfang Nachweis für Deutschland, dass es sogar noch mehr Jahre sein können.

Es kommt darauf an, Ideen und Pläne zu verfolgen

Hat die Forscherinnen dieses Ergebnis überrascht? Der AZ sagt Wurm: "Ich wusste schon aus früheren Studien, dass verschiedene Sichtweisen auf das Älterwerden bedeutend für die Gesundheit sind. Was mich überrascht hat: dieser enorme Unterschied von 13 Jahren. Das ist wahnsinnig viel Zeit." Wurm leitet die Abteilung für Präventionsforschung und Sozialmedizin am Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald.

Besonders ist bei der Greifswalder Untersuchung auch, dass die Vielfalt der Sichtweisen genauer angeschaut wurde. "Viele Menschen sehen das Älterwerden nicht allein positiv oder negativ. Vielmehr unterscheiden sie dabei zwischen verschiedenen Lebensbereichen", so Wurm laut Mitteilung. "Wir konnten nun erstmals zeigen, dass jene Menschen länger leben, die das Älterwerden mit einer persönlichen Weiterentwicklung verbinden, die also viele Ideen und Pläne realisieren und weiterhin neue Dinge lernen wollen."

Eine positivere Sicht auf das Älterwerden hilft 

Aufgefallen ist den Forscherinnen dabei auch, "dass es vergleichsweise unwichtig für ein langes Leben ist, ob Menschen das Älterwerden mit körperlichen oder sozialen Verlusten verbinden".

"Die Befunde geben gute Hinweise darauf, dass wir Menschen vor allem darin unterstützen sollten, ihr Älterwerden aktiv zu gestalten",  sagt die Wissenschaftlerin Susanne Wurm.
"Die Befunde geben gute Hinweise darauf, dass wir Menschen vor allem darin unterstützen sollten, ihr Älterwerden aktiv zu gestalten", sagt die Wissenschaftlerin Susanne Wurm. © privat

Warum aber hat die eigene Einstellung so einen großen Einfluss? Der AZ erklärt Wurm: "Wenn wir positiv an unser Älterwerden herangehen, wirkt es in dreierlei Hinsicht auf uns. Wir wissen, dass zum einen unsere Sichtweisen auf das Älterwerden unser Gesundheitsverhalten beeinflussen. Das heißt, Menschen, die eine positivere Sicht auf das Älterwerden haben, sind körperlich aktiver, achten insgesamt stärker auf präventive Verhaltensweisen und zeigen damit weniger Risikoverhaltensweisen wie Raucher oder Menschen mit hohem Alkoholkonsum."

Es gilt die "Altersselbstdiskriminierung "zu durchbrechen

Der zweite Faktor: Stress. "Menschen mit positiverer Sicht auf das Älterwerden haben weniger Stress damit." Das wirke sich positiv aus, denn: "Stress führt zu vorzeitigem Altern, kardiovaskulären Erkrankungen und vorzeitiger Sterblichkeit."

Der dritte Punkt: weitere psychologische Prozesse. "Wenn ich positiv auf das Alter schaue, habe ich auch häufig mehr psychische Ressourcen, um Belastungen und Verluste zu bewältigen."

Welche Rückschlüsse aus der Analyse gezogen werden können: "Die Befunde geben gute Hinweise darauf, dass wir Menschen vor allem darin unterstützen sollten, ihr Älterwerden aktiv zu gestalten", führt Wurm in ihrer Mitteilung aus. Denn: "Als Erzfeind des gesunden Alterns entpuppt sich die Einstellung, sich selbst zu beschränken, weil es für diesen Plan oder jene Aktivität vermeintlich schon zu spät sei." Menschen lernten Wurm zufolge ihr ganzes Leben lang negative Bilder vom Alter und neigten deshalb dazu, diese auf sich selbst anzuwenden, wenn sie dann das entsprechende Alter erreichen. "Diese Altersselbstdiskriminierung gilt es zu durchbrechen."

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Professor Dr. Cornelia Behnke-Vonier von der Katholischen Stiftungshochschule in München beschäftigt sich auch mit dem Thema des Älterwerdens und wie man damit gut umgehen kann.

Auf AZ-Anfrage sagt sie zu den Ergebnissen aus Greifswald: "Ich sehe einiges ein bisschen ambivalent: Einerseits ist es sehr einleuchtend, dass es die Lebensqualität im Alter steigert, wenn der Mensch noch Ziele und Projekte hat, also etwa die Idee, nun endlich die Zeit zu haben, sich mit Dingen zu beschäftigen, für die man in der Zeit des Erwerbslebens oder in der familienintensiven Phase keine Zeit hatte." Das sei eine Form des Lernens oder der Entwicklung, die man als eine Art "Privileg des Alters" sehen könne.

Behnke-Vonier: "Es geht auch sehr stark um die hohe Kunst des Loslassens"

Doch Behnke-Vonier führt auch Bedenken an: "Andererseits sehe ich auch die Gefahren bei Chiffren wie lebenslanges Lernen oder ständige Weiterentwicklung: Eben lebenslanges Lernen als Humankapitalressource - also doch wieder Nützlichkeit oder Verwertungsinteressen - oder als Zwang, auch als alter Mensch immer anschlussfähig an neueste Entwicklung bleiben zu müssen."

Zudem besteht aus ihrer Sicht die Gefahr, dass ein neu auferlegtes positives Denken einen neuen Druck aufbaue. "Dann haben wir alle das Ideal des aktiven, junggebliebenen Alten im Kopf und die tatsächlich belastenden Facetten des Alters werden verdrängt oder ganz nach hinten verschoben."

Ihr Fazit: "Nichts gegen Aktivität und Lernfähigkeit auch im hohen Alter - aber ich glaube, es geht auch sehr stark um die hohe Kunst des Loslassens."

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