Mexikanische Polizei braucht Asyl

Die Drogenkartelle in Mexiko terrorisieren seit Jahrzehnten Bevölkerung und Staat. Die Kriminellen töten, verstümmeln, foltern, Polizei und Militär sind machtlos. Viele Gesetzeshüter fliehen ins Ausland, um der Gewalt zu entkommen.
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Ein mexikanischer Soldat im Mohnfeld
AP Ein mexikanischer Soldat im Mohnfeld

Die Drogenkartelle in Mexiko terrorisieren seit Jahrzehnten Bevölkerung und Staat. Die Kriminellen töten, verstümmeln, foltern, Polizei und Militär sind machtlos. Viele Gesetzeshüter fliehen ins Ausland, um der Gewalt zu entkommen.

Der Krieg zwischen den Drogenkartellen und der Regierung in Mexiko hält mit unverminderter Härte an. Jeden Tag werden in Mexiko zwischen einem Dutzend und über 30 Menschen umgebracht. Darunter zunehmend auch Polizisten, Soldaten und hohe Polizeioffiziere.

Schon frühere Regierungen hatten die Armee in Marsch gesetzt, um die Drogenkartelle in die Knie zu zwingen, doch deren Einfluss und Macht ist dennoch eher gestiegen. Als Felipe Calderón im Dezember 2006 das Amt des mexikanischen Präsidenten antrat, da erklärte er den Kartellen offen den Krieg und stellte mehrere zehntausend Soldaten ab. Es werde ein Krieg sein, der länger dauern werde, als seine sechsjährige Amtszeit, sagte Calderon damals. Der Krieg verläuft ohne sichtbare Fronten. Betroffen sind vor allem die nördlichen Bundesstaaten an der Grenze Mexikos zu den USA, aber gemordet wird auch in den übrigen Bundesstaaten, vor allem da, wo Drogen produziert und konsumiert werden. Die Kartelle haben nicht nur einzelne Polizisten, Richter sowie Staatsanwälte im Griff, sondern auch Politiker, vor allem in den Bundesstaaten.

Unter Kontrolle der Kartelle

Gerade wurde der frühere Gouverneur von Quintana Roo, Mario Villanueva Madrid, zu 36 Jahren Haft verurteilt, weil er mit einem der Kartelle zusammengearbeitet hatte. Als Calderón antrat, waren ganze Gebiete des Landes unter der Kontrolle der Kartelle von Juárez, Sinaloa, Tijuana und Golf. Ob es gelungen ist, die Macht des Staates wiederherzustellen, ist eher fraglich. Die Bilanz nach 18 Monaten: Seit Dezember 2006 kamen in Mexiko weit über 4000 Menschen um, darunter auch mehr als 400 Mitglieder der staatlichen Sicherheitsdienste, Polizisten, Soldaten. Allein in diesem Jahr starben über 1600 Personen, wie die Tageszeitung «El Universal» diese Woche berichtete. Sie wurden von Kugeln durchsiebt, enthauptet, gefoltert, in Stücke zerschnitten. Die Kartelle erlauben es sich inzwischen sogar, «Hinrichtungen», vor allem wenn es im Polizisten geht, vorher anzukündigen. Ende Mai tauchte so eine Liste mit elf Namen auf. Wenige Tage später wurde die Ankündigung in die Tat umgesetzt.

Sieg unmöglich

Neulich veröffentlichte die Zeitung «Reforma» eine Umfrage, derzufolge inzwischen eine Mehrheit der Mexikaner glaubt, dass es nicht möglich sei, den Drogenhandel mit Gewalt zu unterbinden und die Kartelle zu besiegen. Viele Reiche und Einflussreiche schicken ihre Kinder inzwischen aus Sicherheitsgründen zur Schule ins Ausland. Die Regierung hält dagegen. «In 18 Monaten hat die Regierung 909 Millionen Dollar konfisziert», teilte der Vize-Generalstaatsanwalt José Luis Santiago Vasconcelos vor wenigen Tagen mit. Und der Staat habe dem Verbrechen schwere Niederlagen zugefügt. 55 Tonnen Kokain, 2805 Tonnen Marihuana und bedeutende Mengen an Crack, Opiummasse, Heroin, sowie Waffen, über 7000 Fahrzeuge und sogar Flugzeuge seien beschlagnahmt worden. Außerdem wurden über 30.000 Hektar Marihuana- und fast 20.000 Hektar Mohnfelder vernichtet.

Asyl für die Polizei

Doch das alles reicht bei weitem nicht aus. Es gibt immer Söhne, Brüder, Vettern, die einspringen, wenn ein Capo getötet oder verhaftet wird. Sie befehligen inzwischen kleine, gut ausgerüstete, gut bezahlte und gut trainierte Armeen, die den Polizisten oft überlegen sind. Kommandos von bis zu 50 Mann überfallen Polizeistationen am helllichten Tag und oft lautet die Bilanz: «Mehrere Polizisten getötet, die Angreifer entkamen unerkannt.» Kein Wunder, dass es immer wieder vorkommt, dass ein Bürgermeister oder ein Polizeichef in den USA auf der anderen Seite der Grenze um Asyl nachsucht. Vor drei Wochen floh die gesamte Führung der Kleinstadt Villa Ahumada in Nordmexiko einschließlich der Polizei vor einer Bande und überließen dieser eine schutzlose Bevölkerung.

Die Macht des Verbrechens

Auch die Politik zeigt sich der Macht des Verbrechens nicht gewachsen. Sie reibt sich auf zwischen Machterhalt, Korruption und Unfähigkeit. Selbst die vor einem Jahr initiierte Merida-Initiative, mit der die USA Mexiko im Antidrogenkampf mit rund 450 Millionen Dollar unter die Arme greifen will, ist jetzt erst einmal blockiert. Der Senat in Washington verlangt unter anderem Kontrolle darüber, ob die mexikanische Armee in dem Krieg die Menschenrechte einhält. Die Mexikaner betrachten das als eine Einmischung in die Angelegenheiten eines souveränen Staates und eine Kränkung durch die Großmacht im Norden. (Franz Smets, dpa)

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