„Mehr Genuss und Tiefe“
Eine junge Fotografin hat Frauen und Männer zwischen 60 und 80 Jahren beim Sex abgelichtet. Was die Künstlerin, ihre Protagonisten und der Regisseur des Erfolgsfilms „Wolke 9“ sagen
Huch! Die fünf Teenies bleiben wie erstarrt stehen. In was für eine Foto-Ausstellung sind sie denn mit ihrer Klasse geraten? Die Menschen auf den Sex-Fotos sehen ja gar nicht so makellos schön aus wie im Fernsehen oder in der Werbung. Sie haben tiefe Falten, wabbelnde Bäuche, hängende Brüste... Kreischend laufen sie hinaus.
Kein Gedanke, dass es auch in ihrer Generation wabbelnde Moppel-Ichs gibt. Oder dass sie häufig schon mit 12 ihr erstes Mal erleben. Das ist für sie normal. Abartig dagegen erscheint vielen, dass Menschen, die ihre Großeltern sein könnten, noch sexuell aktiv sind.
„In der Pubertät checkt man nicht, dass es kein Privileg der Jüngeren ist, ein aufregendes Sexleben zu führen“, sagt die Fotografin Katrin Trautner (28). Sie hat per Annonce Frauen und Männer zwischen 60 und 80 gesucht, sie beim Liebesspiel fotografiert und zeigt die Paare nun in einer Ausstellung in Frankfurt und in dem Band „Morgenliebe“ (Kerber Verlag).
„Dürfen die das – in dem Alter?“
Uninszenierte Aufnahmen, die klar machen, dass Erotik im Alter nicht verschwindet und das Begehren bleibt. Etliche ihrer „Models“ haben sich im Rentenalter noch mal neu verliebt und ihre Sexualität erst richtig entdeckt. „Ohne Berufs-Stress, der ihnen die Lust im Bett genommen hat, sind sie viel unverkrampfter“, hat Trautner festgestellt.
Diese entspannte Hingabe dokumentiert sie mit ihren Fotos. Bilder, die in den Medien sonst meist ausgeblendet werden. Dass der verwitwete Politiker Franz Müntefering (69) jetzt eine 40 Jahre jüngere Frau liebt, berührt die Nation. Als aber 2005 Christiane Hörbiger, damals 67, mit Michael Mendl, damals 60, vor der Kamera unter die Bettdecke schlüpft, wie in dem TV-Film „Mathilde liebt“, wird öffentlich diskutiert: „Dürfen die das – in dem Alter?“
„Alte Körper will niemand sehen, heißt’s immer“, so Trautner. „Angeblich verkaufen sich nur junge. Ich finde alte Körper schön.“ Das Thema liegt ihr am Herzen: „In einer Gesellschaft, die immer älter wird, muss es einfach normal werden, Menschen jenseits der 60 und 70 lustvoll und ungeschönt aktiv wahrzunehmen.“
„Ist doch kein Grund, weniger Sex zu haben“
Das war auch ein Grund, warum sich Trautners Protagonisten auf das Foto-Projekt eingelassen haben. „In der Natur finden wir gerade die krumm gewachsenen Bäume schön“, sagt ein 64-Jähriger in der „Frankfurter Rundschau“. „Den gerade gewachsenen Stamm übersehen wir. Und der soll unser Schönheitsideal für den menschlichen Körper sein?“ Seine gleichaltrige Partnerin ergänzt lächelnd: „Das bei uns der eine oder andere Knochen mal wehtut, „ist doch kein Grund, weniger Sex zu haben.“
Die beiden „tun es praktisch jeden Tag“. Schon damit die „Muskeln, die dabei eine Rolle spielen, nicht unterentwickelt werden“. Dass Katrin Trautner sie dabei fotografiert hat, haben sie nicht all ihren Freunden erzählt. Nicht jeder von ihnen ist mit Mitte 60 so frei und fröhlich wie sie.
„Wir gehorchen den Merkwürdigkeiten der Schönheitsindustrie“
„Ältere Körper wirken erstmal erschreckend, drum hat man solche Bilder nicht so gern“, sagt Andreas Dresen (46), Regisseur des vielfach ausgezeichneten Films „Wolke 9“ über Leidenschaft im Alter. „Sie konfrontieren uns mit dem Verfall, mit dem Tod. Davor haben wir Angst. Wir möchten dem nicht ins Auge schauen, tun lieber so, als ob wir ewig jung bleiben könnten und gehorchen den Merkwürdigkeiten der Schönheitsindustrie.“ Dass Männer noch mit 60 einen Waschbrettbauch haben und Frauen sich ihre Falten mit Botox wegspritzen sollen.
Darum, so Dresen zur AZ, sei es wichtig, Bilder wie die von Katrin Trautner zu zeigen. Auch, um „die Jugend mit der Wahrheit zu konfrontieren: Es ist nicht immer schön und ästhetisch, wenn man älter wird, aber es ist ein Teil des Lebens. Und in dem anderen Teil kann man auch sehr viel Schönes erfahren.“
Ohne Leistungsdruck und Orgasmus-Zwang
Der Regisseur, der beim Münchner Filmfest (26. Juni bis 4. Juli) seinen neuen Film „Whisky mit Wodka“ vorstellt, räumt ein: „Mit Anfang 20 hatte ich auch Klischees im Kopf und war der langläufigen Auffassung, dass nach 60 Feierabend mit dem Sex ist. Dass man keinen Bock mehr hat und keinen hoch kriegt.“
Inzwischen weiß er aus vielen „wunderbaren“ Gesprächen mit Älteren, dass es auch dann „noch richtig abgeht“. Ohne Leistungsdruck und Orgasmus-Zwang, „mit einer ganz anderen Art von Zärtlichkeit, mehr Genuss, viel mehr Zeit und Tiefe für Sex“. Er lacht. „Da hat man doch direkt noch was, worauf man sich Freude kann.“
Renate Schramm
- Themen: