Kunstexperte Willi Korte wundert sich über die Dresdner Räuber

AZ-Interview mit Willi Korte: Der Jurist und Historiker beschäftigt sich mit länger zurückliegenden Kunstdiebstählen. Der Experte ist als Kunstfahnder bekannt.
Am Dienstag ist es soweit: Im Prozess um den spektakulären Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden im Jahr 2019 werden Geständnisse erwartet. Vier der sechs angeklagten jungen Männer eines Berliner Clans stimmten einem Deal zu: Sie sollen für die Rückgabe des Großteils der Beute und „glaubhafte“ Geständnisse eine geringere Strafe erhalten (AZ berichtete).
wKunstfahnder Willi Korte findet all das recht merkwürdig. Wieso, erklärt er der AZ:
AZ: Herr Korte, wie fanden Sie es denn, als einige der gestohlenen Juwelen aus dem Grünen Gewölbe im Dezember plötzlich wieder aufgetaucht sind?
WILLI KORTE: Ich muss mich ja ständig korrigieren, was meine Einschätzung zu dem Fall angeht. Zu Beginn dachte ich: endlich mal ein richtig spannender Fall! Eine organisierte Bande, die offenbar seit vielen Jahren mit internationalen Beziehungen als Berufskriminelle unterwegs ist, die bereits die Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen hatte, bricht professionell ins Grüne Gewölbe ein. Sie öffnet zwar die Vitrinen eher rabiat, legt aber ansonsten einen gut organisierten Einbruch hin. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie sich als Teil der Planung auch um den Absatz gekümmert haben.
"Je bekannter das Kunstwerk, desto schwieriger es loszuwerden"
Wieso waren Sie sich da sicher?
Naja, bei geklauten Gemälden ist es oft so, dass die Diebe im Anschluss an den Raub keine Ahnung haben, was sie nun damit tun sollen. Viele Jahre später finden sich diese dann bei der Oma unter dem Bett wieder. Denn je bekannter das Kunstwerk, desto schwieriger ist es, dieses loszuwerden. Wohin mit einem geklauten Rembrandt? Wenn man nicht sehr gute Verbindungen zu den richtigen Interessenten in der Kunstwelt hat, ist der Verkauf fast unmöglich. Kunst zu klauen, ist die eine Sache, diese abzusetzen eine ganz andere. Bei Juwelen ist das einfacher.
„Ich war mir sicher, dass die Stücke nie wieder auftauchen“
Warum?
Da werden leicht die Steine rausgebrochen und zum Beispiel im Nahen oder Fernen Osten verkauft. Ich war mir sicher, dass die Stücke aus dem Grünen Gewölbe deshalb nie wieder auftauchen.
Nun sind einige der Schmuckstücke – teils beschädigt – zurückgegeben worden. Wie erklären Sie sich das?
In diesem Fall hatten die Diebe des Remmo-Clans das Pech, erwischt zu werden. Ich arbeite immer wieder mit Strafverfolgungsbehörden zusammen – man hat ihnen natürlich die volle Wucht des Gesetzes hinterhergeworfen. Das war wohl einigen der Angeklagten dann etwas zu viel an Freiheitsstrafe bei über zehn Jahren.
Doch als Berufsverbrecher muss man damit rechnen, dass man auch mal erwischt wird. Das ist wie beim Spiel Monopoly: Da muss man auch mal eine Strafe im Gefängnis absitzen, um danach sozusagen seine Karriere fortsetzen zu können (lacht). In der Regel haben diese Leute dann aber keine Karte, um sich freizukaufen. Mit Juwelen aus dem Grünen Gewölbe hat man jedoch ein Verhandlungsobjekt.
Sprich: Die Diamanten wurden bewusst nicht verkauft?
Ja, zumindest zum Teil. Der Ablauf des Deals ist nicht ungewöhnlich. Und die Behörden wollten natürlich die Stücke zurück. Merkwürdig ist aber, dass nur ein Teil der Beute zurückgegeben wurde.
"Wo sind die noch fehlenden Stücke geblieben?"
Und zudem teils stark beschädigt.
Zu meiner Überraschung und Enttäuschung, im Hinblick auf die vermeintliche Professionalität der Remmo-Mitglieder, sind diese Stücke offenbar in einem schlechteren Zustand, als ich erwartet hätte. Bei dem brutalen Eindringen in die Vitrinen während des Raubs scheinen schon Schmuckstücke beschädigt worden zu sein. Aber auch danach wurde wohl nicht gut mit ihnen umgegangen. Eine andere Frage, die sich mir stellt, ist: Wo sind die noch fehlenden Stücke abgeblieben?
Was vermuten Sie?
Ich hatte mich ja schon über die Tauchaktion im Landwehrkanal in Berlin gewundert, der, wie wir jetzt wissen, abgesucht wurde, in der Hoffnung eine Degenklinge zu finden. Irgendwie eine lustige Aktion, da diese ja wesentlich weniger wertvoll und viel leichter zu ersetzen ist, als etwa der größte Klunker, der noch verschollen bleibt: die Epaulette mit dem Sächsischen Weißen, einem Brillanten von fast 50 Karat! Das entspricht etwa der Größe eines Golfballs! Mich würde schon interessieren, welche Erklärung die Behörden für das Fehlen dieser Stücke bekommen haben.
„Mit diesem Stein kann man zum Millionär werden“
Wo könnte der Brillant stecken?
Bei der Größe – die Frage bleibt, ob die Beute immer in Berlin geblieben ist? Denn es hatte ja Hausdurchsuchungen bei der diebischen Familie gegeben. Womöglich wurde zuvor ein Freund gebeten, die verbliebenen Diamanten bei sich zu horten. Hält dieser also noch einen Teil zurück? Oder hat sich die Familie zunächst mit dem größten Diamanten beschäftigt und ihn auf dem schwarzen Markt abgesetzt? Sie werden ihn ja wohl kaum unterwegs verloren haben. Jedenfalls wäre das doch die größere Suchaktion wert als eine Degenklinge im Kanal!
Was bekommt man denn für solche Juwelen am Markt?
Bei gestohlener Kunst, vor allem Gemälden, geht man gerne von zehn Prozent des Marktwertes aus, wobei das bei bekannten Objekten dennoch kaum zu realisieren ist, außer man macht zum Beispiel einen Deal mit der Versicherung. Bei Juwelen, meistens Diamanten, kann man manchmal deutlich mehr erlösen, vorausgesetzt sie sind von eher durchschnittlicher Größe und haben keinen auffälligen Schliff.
Bei einem Stein mit fast 50 Karat und historischem Schliff wie in Dresden, ist der Interessentenkreis deutlich exklusiver, aber man kann den Stein bei dieser Größe natürlich umschleifen und damit immer noch zum Millionär werden.
"Angeklagte geben oft nur das zu, wovon sie glauben, dass es die Behörden schon wissen"
Der Brillant könnte also auch als Druckmittel noch zurückgehalten werden – oder er ist schon lang verkauft worden.
Genau. Ich bin gespannt auf die Geständnisse, die nun bald vor Gericht verkündet werden. Dann wird es ein Strafmaß geben. Doch die Angeklagten geben oft nur das zu, von dem sie glauben, dass es die Behörden sowieso schon wissen. Vermutlich wird die Bande uns irgendeine Räubergeschichte aufbinden, wieso die restlichen Juwelen verschollen bleiben. Aber ich bin mir sicher, dass die Behörden den Fall nicht abschließen, bevor sie befriedigende Antworten erhalten haben. Es darf ja nicht so aussehen, als hätte sich Raub und Deal am Ende für die Remmos gelohnt.