Kritische Innenschau ist der erste Schritt zur Veränderung

AZ: Frau Sieverling, viele Menschen sehnen sich nach beruflicher Umorientierung, ändern dann aber doch nichts. Wie kommt das?
Nicola Sieverling: Viele Sehnsuchtsmodelle bleiben in der Schublade, weil wir zwischen Unzufriedenheit, Ideen, Zweifeln und Unsicherheit schwanken. Angst vor Neuem blockiert viele Menschen und hindert sie daran, selbst aktiv zu werden. Dabei haben wir nur dieses eine Leben und sollten daher nicht in einem Job ausharren, der uns weder Lebensfreude noch Erfüllung schenkt.

Ihr aktuelles Buch heißt "Plan B – Endlich etwas finden, für das man wirklich brennt". Wie findet man einen solchen Job?
Mein Appell: Sich mutig auf den Weg machen, statt weiter zu verharren. Dazu gehören vor allem Innenschau und Ruhe, beispielsweise das in Japan beliebte Waldbaden. Ein Spaziergang unter grünen Dächern macht den Kopf frei für neue Gedanken und Impulse. Die Aussicht auf dem Berggipfel als Mini-Auszeit wirkt ebenfalls Wunder. In unserer hektischen und lauten Gesellschaft ist es schwer, den Blick nach innen zu richten, und auf die Stimme unseres Herzens zu hören. Die meisten von uns kennen sich und ihre ureigensten Bedürfnisse zu wenig. Unsere Herzensstimme hilft uns, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie ist eng mit dem Bauchgefühl und unserer Intuition verbunden.
Aber ist denn nicht immer das Gras auf der anderen Wiese grüner als auf der eigenen? Anders gesagt: Hat nicht jeder Beruf seine Vor- und Nachteile – und es ist fast egal, wo man arbeitet?
Ich kenne keinen Menschen, dem es egal ist, wie und wo er sein Geld verdient. Ein erfülltes Berufsleben, das uns Sinnhaftigkeit und Lebensfreude schenkt, ist das, wonach sich jeder Mensch sehnt. Ist das nicht der Fall, nagt der Frust immer stärker in uns. Warum aber sollten wir auf Lebensqualität verzichten? Wir alle kennen Menschen, die uns mit ihrer positiven Ausstrahlung magisch anziehen. Ihr Geheimnis: Sie sind zufrieden im Job und lieben das, was sie tun.
Corona-Krise: Viele haben jetzt größere Lust auf Veränderung
Die Corona-Krise sorgt für viel Unsicherheit, besonders im Arbeitsleben. Haben sich die Vorzeichen für die Berufswahl dadurch noch mal verändert?
Einen guten Plan B brauchen, das bestätigen mir die vielen Rückmeldungen von Lesern und Seminarteilnehmern, gerade jetzt viele Menschen in der Tasche. Die Corona-Krise zeigt uns, wie wertvoll unser Leben ist und dass faule Kompromisse im Job dauerhaft dagegenstehen. Wer schon lange mit seiner Tätigkeit hadert, sich über Kollegen und den Chef ärgert, hat eine größere Lust auf Veränderung als vorher. Hinzu kommt, dass sich viele Menschen durch einen Jobverlust neu orientieren müssen. Neue Wege gehen – jetzt erst recht!
Auch Sie haben sich beruflich verändert – was dann auch zu diesem Buch geführt hat. Was war für Sie dabei die größte Herausforderung, die Sie meistern mussten?
Ich bin lange dem ehrlichen Blick in den Spiegel ausgewichen, weil ich wie so viele in der Routinefalle steckte. Ich war mit meiner PR-Agentur erfolgreich, hatte zwei Mitarbeiterinnen und ein schickes Büro an der Hamburger Alster. Meine Strategie lautete daher lange: Weitermachen, nur nicht innehalten und die eindeutigen Signale des Körpers wahrnehmen. Nach fünf Hörstürzen und der Diagnose Brustkrebs stand ich mit der Nase an der Wand. Ich habe lange nicht erkennen wollen, dass Gesundheit und Lebensfreude mehr wert sind als ein gut gefülltes Konto. Mein Rat: Eine kritische Innenschau ist der erste Schritt zur Veränderung. Nie auf die lange Bank schieben!
Sieverlings Tipp: "Raus aus der Komfortzone und dem alten Trott"
In Ihrem Buch kommen etliche Menschen zu Wort, die den Berufswechsel bereits hinter sich gebracht haben. Auffallend ist: Sie alle sind nun selbstständig tätig. Wie kommt das?
Offenbar ist in unserer Gesellschaft die Lust gewachsen, etwas Eigenes zu machen und als Chefin oder Chef den Hut aufzusetzen. Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, sein Herzensbusiness allein oder mit anderen Menschen in die Tat umzusetzen. Die Werte sind unser innerer Kompass und bei meinen acht Mutmacher-Portraits standen Freiheit und Selbstbestimmung in der Werteskala ganz oben. Lebensentwürfe und auch Lebenswerte unterliegen einem Wandel, das Angestelltendasein machte allen keinen Spaß mehr.
In Ihrem Buch schreiben Sie: Wer Tore öffnen will, darf nicht als Maus davor stehen. Was meinen Sie damit?
Die Macht der Gedanken macht aus einer Maus einen Bären, der sich Einlass in die noch unbekannte Welt hinter dem Tor verschafft. Wie das geht? Mit Träumen und Visionen im XXL-Format. Trauen Sie sich, nur das Beste und Größte für sich zu erträumen. Im Geist gibt es keine Grenzen.
Was raten Sie Menschen, die noch damit hadern, ihren bisherigen, sicheren Job oder den guten Verdienst für etwas Neues aufzugeben – oder denken, sie seien zu alt dafür?
Raus aus der Komfortzone und dem alten Trott, rein in ein Leben, das wir uns verdient haben! Neue Erfahrungen füllen das Selbstfreude-Konto. Dafür gibt es keine Altersgrenze und jeder von uns hat es in der Hand. Es ist unser Leben. Niemand anders führt es für uns. Trauen Sie sich und breiten Sie Ihre Flügel aus.
Das Buch "Plan B" hat 256 Seiten und kostet 18 Euro (eBook: 14,99 Euro). Mehr zum Thema unter www.plan-b-sieverling.de.
Lesen Sie hier: Simone Fleischmann - "Wir fordern knallharte politische Aussagen"