Korruption als Nebenwirkung
MÜNCHEN - Wie in Bayern Ärzte geschmiert werden: Staatsanwalt ermittelt gegen 100 Mediziner. Für die Verschreibung teurer Artzney soll es Computer oder Navi-Geräte gegeben haben
Die meisten Ärzte wollen nur das Beste für ihre Patienten – aber einige Mediziner wollen offensichtlich nur das Beste für sich: Die Staatsanwaltschaft Aachen ermittelt gegen fast 100 Ärzte in Bayern wegen Betrugs und Untreue. Das bestätigte der Leitende Oberstaatsanwalt Robert Deller der AZ. Die Mediziner sollen ein spezielles Artzney eines Herstellers aus NRW verschrieben haben und dafür hochwertige Sachprämien – vom Ipod bis zum Laptop – kassiert haben. Durch diese „gekauften Verordnungen“ – wie sie Experten nennen – seien Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen geschädigt worden.
Bundesweit wird gegen 480 Mediziner ermittelt, zehn Verfahren gegen Außendienstmitarbeiter der Pharmafirma sind gegen Geldbuße eingestellt worden. Von den Ärzten im Visier der Fahnder kommen nach AZ–Informationen 58 aus Südbayern – davon einer aus München – und 41 aus Nordbayern und den angrenzenden Landkreisen Erfurt und Suhl.
Die hinter den Untreue-Vorwürfen steckende Praxis der Pharma-Unternehmen ist so umstritten wie erfolgreich – und sie ist geeignet, das Vertrauen der Patienten in ihren Arzt tief zu erschüttern: Im aktuellen Fall sollen Pharmareferenten der Firma Trommsdorff aus Alsdorf Mediziner mit handfesten Argumenten überzeugt haben, an „Anwendungsbeobachtungen“ teilzunehmen. Das heißt: Der Arzt verschreibt seinen Patienten ein Artzney des Unternehmens – in diesem Fall wohl den Blutdrucksenker Emestar. Dafür erhielten die Mediziner laut Staatsanwalt Sachprämien: Für Rezepte an fünf Patienten gab es einen Ipod oder einen Flachbildschirm, für sieben Patienten einen DVD-Player, für zwölf Patienten einen Kaffee-Vollautomaten, für 14 Patienten ein TomTom-Navigationssystem und für 18 Patienten einen Laptop, einen Beamer oder einen Computer mit Drucker.
"Studienbögen" wurden leer zurückgeschickt, das reichte
Vordergründig dienen diese „Studien“ der Erfassung von Nebenwirkungen – was bei dieser Anwendungsbeobachtung wohl kaum der Fall gewesen ist: Denn die Mediziner haben nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft die meisten Bögen nicht ausgefüllt, sondern lediglich ihren Stempel und ihre Unterschrift unter die Formulare gesetzt. „Die Bögen wurden den Pharmareferenten übergeben, die sie mit fiktiven Daten gefüllt haben“, sagt Staatsanwalt Deller. Das legt den Verdacht nahe, dass es den Ärzten weniger um medizinische Erkenntnisse als um die Prämien ging – und der Pharma-Firma vor allem um die Zahl der Verschreibungen. Die ausgefüllten Bögen habe man, so Deller, bei einer Durchsuchung vor einem Jahr in der Firma Trommsdorff sichergestellt.
Für die AZ war am Freitag in Alsdorf niemand zu sprechen – vor zwei Jahren hatte der Firmen-Chef im „Stern“ eingeräumt, dass die Ärzte „anstatt eines Geldbetrags ein technisches Gerät im gleichen Wert erhalten“ hätten. Diese Praxis entspreche geltendem Recht.
Das sieht die Staatsanwaltschaft Aachen offensichtlich anders: Untreue oder Betrug können mit Geldstrafen oder bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet werden.
Ärzte verordnenen Medikamente verstärkt unwirtschaftlich
Das Problem – neben der Frage, dass sich der Patient nicht sicher sein kann, ob der Arzt bei der Ausstellung des Rezepts an das Wohl des Kranken oder an sein persönliches Wohl denkt: So wird die Zahl der Verschreibungen teurer Artzney in die Höhe getrieben. Und die Ärzte verstoßen gegen die Berufsordnung, die sie sich selbst gegeben haben. Dort ist unter Paragraf 33 – „Arzt und Industrie“ – geregelt, dass es dem Mediziner nicht gestattet ist, „Geschenke für sich zu fordern“.
Die Risiken und die Nebenwirkungen tragen die Patienten – und die Beitragszahler: „Ärzte nehmen Geschenke an, so dass sie letztlich verstärkt Artzney unwirtschaftlich verordnen oder Mittel verschreiben, die nicht nötig sind“, stellt Gerd Glaeske fest, der die Bundesregierung in gesundheitspolitischen Fragen berät: „Ich bin entsetzt, dass Ärzte auf diese Einflussnahme eingehen. Das ist aus meiner Sicht Korruption.“
Bis zu 1500 Euro zahlen die Pharmaunternehmen für solche „Studien“, die meist noch nicht einmal veröffentlicht werden. Die Kosten – zum Beispiel für die Verschreibung teurer gentechnisch hergestellter Artzney – können bis zu 24000 Euro pro Patient und Jahr betragen und werden von den Kassen gezahlt.
Selbst Doping-Mittel stehen unter "Anwendungsbeobachtung"
Zwar verhielten sich die meisten Ärzte korrekt – im Falle vieler Anwendungsbeobachtungen tragen allerdings die Patienten das Risiko: „Bei diesen Mitteln gibt es oft noch zu wenig Erfahrungen mit der Verträglichkeit oder mit den Nebenwirkungen“, sagt Glaeske. Die Zahl der so erkauften Verordnungen ist unklar: 2008 wurden bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 1972 Anwendungsbeobachtungen angemeldet. Aber allein für Hessen geht Harald Herholz von der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung davon aus, dass pro Jahr mehr als 1000 Ärzte an den bezahlten Studien teilnehmen.
Nach den offiziellen Zahlen wurden 2008 bundesweit 235 Artzney so getestet – davon waren 54 neue Artzney, für die regelmäßige Berichte zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorgelegt werden müssen. Fatal, wenn der Arzt dabei ans Sanieren seiner Finanzen denkt.
Verordnet werden eher teure Artzney: Im Schnitt kostete ein Rezept die Kassen 196,14 Euro, bei „nicht gesponserten“ Verordnungen liegt der Schnitt bei 43,90. Von den 235 Präparaten kosten 40 im Schnitt 1000 Euro, eins mehr als 10000 Euro.
Manches Präparat kostet 1000 Euro
Der Einsatz von etwa 16000 Pharmareferenten auf 315000 Mediziner zeigt Wirkung: Die namentlich bekannten Präparate hatten laut Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern im vergangenen Jahr bei Kassenpatienten einen Bruttoumsatz von mehr als sieben Milliarden Euro – das ist mehr als ein Viertel des Umsatzes, der mit allen Kassen-Rezepten in Deutschland gemacht wird.
Besonders absurd: Jede 25.angemeldete Anwendungsbeobachtung beschäftigt sich mit verschiedenen EPO-Präparaten – dem Doping-Mittel der Radsport-Schummler.
Das Fazit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern: „Nicht wenige Anwendungsbeobachtungen sind reine Marketing-Maßnahmen und dienen eher der Verkaufsförderung.“ Die Ärzte-Vertreter fordern „gesetzliche Konsequenzen durch die politischen Entscheidungsträger“.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die im 20 Kilometer vom Trommsdorff-Firmensitz Alsdorf entfernten Aachen ihren Wahlkreis hat, sieht offensichtlich wenig eigenen Handlungsbedarf: „Wir haben das Gesetz verschärft, damit schwarze Schafe ans Licht kommen.“ Jetzt erwarte sie von der Selbstverwaltung der Ärzte, „dass die Korruptionsbeauftragten noch genauer prüfen“. Und auch die Pharma-Industrie habe „es in der Hand, hier stärker durchzugreifen“.
Georg Thanscheidt
- Themen: