"Kinder spüren meist, wenn ein Elternteil depressiv ist"

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Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Depressionen. Die psychische Erkrankung betrifft auch das Umfeld. Was es mit einem Kind macht, wenn Mutter oder Vater schwer depressiv ist, schildern hier eine Betroffene und eine Expertin. Prof. Dr. Eva Asselmann erklärt zudem, wie Außenstehende helfen können.
"Ich musste sehr früh lernen, erwachsen zu werden"
"Ich vermisse meine Mama sehr. Und dennoch bin ich erleichtert, dass sie und ihre Krankheit nicht mehr da sind", sagt Franziska Hohmann im Interview mit spot on news. Sie hat mit "Gut, dass Du nicht mehr da bist" (Heyne, 10.09.) ein Buch geschrieben, das von ihrer Kindheit mit ihrer schwer depressiven Mutter sowie ihrem späteren Kampf gegen die Alkoholsucht handelt.
"Es war schwierig bei uns, denn meine Mutter und ich haben in einer Art Dreiecksbeziehung gelebt, meine Mama, ihre Krankheit und ich. Da war gefühlt nie genug Raum für mich und meine kindlichen Bedürfnisse und ich musste sehr früh lernen, erwachsen zu werden", erzählt Hohmann. Deshalb fühle sie, wenn sie an ihre verstorbene Mutter denkt, "viele Dinge gleichzeitig - Erleichterung, Schmerz, Traurigkeit. Aber auch Stolz auf das, was ich trotz dieser Umstände aus meinem Leben gemacht habe und was für ein fröhlicher und positiver Mensch ich jetzt bin".
"Ich habe immer gesagt: Meine Mama ist ein bisschen verrückt"
Die Beziehung zu ihrer Mutter sei "sehr kompliziert und in gewisser Weise toxisch für mich und meine Entwicklung" gewesen, verrät Hohmann. "Durch ihre vielen depressiven Phasen und die Stimmungsschwankungen bei uns zu Hause wusste ich nie, woran ich war und was am nächsten Tag passieren würde. Ging es ihr schlecht, musste ich für sie da sein. War sie gut drauf, sollte ich auf einmal wieder Kind sein. Das wechselte manchmal innerhalb von Tagen. Oder sie ging wieder in eine Klinik und ich musste woanders untergebracht werden. Das zog sich so durch mein Leben und war alles andere als gesund für mich."
Doch jetzt, "mit Abstand und nach viel Therapie, Selbsthilfe und meiner Ausbildung als Coach", könne sie viele Dinge besser einordnen und erkennen, "dass unsere Bindung trotz allem etwas Besonderes war und ich bin froh, bis zum Ende an ihrer Seite gewesen zu sein", so die Musik-PR-Managerin, die sich auch als Systemischer Coach selbstständig gemacht hat.
Dass sie in einer sogenannten dysfunktionalen Struktur aufgewachsen ist, hat Franziska Hohmann erst sehr spät erkannt. "Ich habe immer gesagt: Meine Mama ist ein bisschen verrückt, meinen Vater kenne ich nicht wirklich, aber mir geht's gut! Aber das war ein Trugschluss. Denn mir ging es, glaube ich, nie wirklich gut. Der Alkohol und die ständigen Ablenkungen in meinem Job und die vielen Partys haben mich das glauben lassen."
"Ich muss nicht mehr in einem Drama feststecken"
Erst als sie sich in der Nüchternheit sehr intensiv mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt habe, sei ihr klar geworden, dass sie "mit komplett vertauschten Rollen aufgewachsen" ist, "und ich habe angefangen, mich mit den Folgen von Parentifizierung zu beschäftigen. Dabei habe ich erkannt - viele meiner Verhaltensmuster rühren davon, wie ich aufgewaschen bin. Und das ist tatsächlich eine Erleichterung für mich, denn daran kann ich arbeiten. Ich muss nicht mehr in einem Drama feststecken. Ich kann das Leben genießen, so wie es jetzt ist und an vielen Stellen von der Stärke und der Unabhängigkeit profitieren, die ich entwickelt habe".
Und sie fügt hinzu: "Mit meinem Buch will ich dazu ermutigen nicht weg, sondern hinzuschauen, wenn Menschen leiden. Ich mache das schon seit Jahren in meinem Bekanntenkreis und jetzt eben auch öffentlich und ich hoffe, etwas verändern zu können. Denn ich habe den weiten Weg nur mit der Hilfe meiner Freunde geschafft, die hingeschaut haben. Und dafür bin ich jeden Tag dankbar."
In "Gut, dass Du nicht mehr da bist", das Franziska Hohmann mit ihrer Co-Autorin Nina Faecke verfasst hat, kommt auch Prof. Dr. Eva Asselmann zu Wort. Die Psychologieprofessorin an der HMU Potsdam erforscht, wie sich Menschen im Laufe ihres Lebens wandeln und wie persönliches Wachstum gelingt. Im Interview mit spot on news erklärt sie, wie sich Depressionen bei Eltern auf die Kinder auswirken.
Welchen Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes kann eine Depression eines Elternteils haben, kurzfristig und im späteren Leben?
Prof. Dr. Eva Asselmann: Kinder spüren meist, wenn ein Elternteil depressiv ist. Sie erleben weniger emotionale Nähe, mehr Unsicherheit und oft ein schwankendes Familienklima. Kurzfristig kann das ihre Selbstsicherheit untergraben und ihr Verhalten verändern. Langfristig steigt das Risiko, selbst psychische Probleme wie Ängste oder Depressionen zu entwickeln. Entscheidend ist vor allem, ob das Kind in dieser Zeit andere Stützen hat - zum Beispiel Großeltern, Lehrkräfte oder Freunde und Freundinnen. Solche Beziehungen können Belastungen abfedern.
Ab wann passt ein Kind sein Verhalten an die Erkrankung von Mutter oder Vater an und wie häufig kommt es vor, dass das Kind die fürsorgliche Rolle übernimmt, die eigentlich die Eltern ausüben sollten?
Asselmann: Schon sehr junge Kinder reagieren auf die Stimmung ihrer Eltern. Manche werden stiller oder besonders brav, andere übernehmen Verantwortung, um die Familie zu entlasten. In manchen Fällen schlüpfen sie in eine Rolle, die eigentlich den Eltern zukommt - das nennt man Parentifizierung. Vor allem wenn es keine weiteren stabilen Bezugspersonen gibt, tritt dieses Muster häufig auf. Von außen wirkt das Kind dann reif und stark, trägt aber eine Last, die es eigentlich überfordert. Wichtig ist, solche Signale früh ernst zu nehmen.
Wie kann das Umfeld erkennen, dass ein Kind, das in einer solchen Situation lebt, Hilfe benötigt und wo findet man diese?
Asselmann: Warnsignale sind Rückzug, auffällige Stimmungsschwankungen, schulische Probleme oder ein Verhalten, das zu erwachsen wirkt. Wenn ein Kind sich stärker um die Eltern kümmert als umgekehrt, ist das ein klares Alarmsignal. Erste Anlaufstellen sind Kinderärzte, Schulen oder Erziehungsberatungsstellen. Auch Psychotherapeuten und spezielle Hilfetelefone können helfen. Wichtig ist, dass das Umfeld aufmerksam bleibt und nicht abwartet. Schon kleine Schritte der Unterstützung können ein Kind spürbar entlasten.
Wenn die Bindung zwischen dem erkrankten Elternteil und dem Kind gelitten hat: Lässt sich dies später noch ändern und welche Schritte wären notwendig?
Asselmann: Bindung ist nichts Starres, sie kann sich auch später im Leben erneuern. Kinder können wieder Vertrauen fassen, wenn sie verlässliche und positive Erfahrungen mit den Eltern machen. Dafür müssen die Eltern selbst stabiler werden, oft mithilfe professioneller Unterstützung. Parallel können Kinder in Therapien oder Gruppen Sicherheit erleben und lernen, Nähe wieder zuzulassen. Mit Geduld, Verständnis und Kontinuität wächst Bindung Schritt für Schritt nach. Gemeinsame schöne Erlebnisse sind dabei besonders hilfreich.
Ist die Wahrscheinlichkeit für Kinder aus dysfunktionalen Familien höher, später eine Suchterkrankung zu entwickeln?
Asselmann: Ja, das Risiko ist erhöht. Wer in instabilen Familien aufwächst, lernt oft nicht, auf gesunde Weise mit Stress oder negativen Gefühlen umzugehen. Alkohol oder andere Substanzen können dann wie eine schnelle Lösung wirken. Doch das ist kein unausweichliches Schicksal. Wer früh Unterstützung findet, stabile Freundschaften pflegt oder eine fördernde Bezugsperson hat, kann auch sehr widerstandsfähig werden. Manche entwickeln gerade aus schwierigen Erfahrungen eine besondere Stärke.
Wenn ein Kind kein Urvertrauen finden kann: Wie beeinflusst das die Persönlichkeit und was kann man im späteren Leben selbst tun, um dies zu erkennen und auszugleichen?
Asselmann: Fehlt Urvertrauen, fühlen sich Menschen oft unsicher und haben Mühe, stabile Beziehungen aufzubauen. Manche ziehen sich zurück, andere suchen übermäßig Bestätigung im Außen. Diese Muster bleiben meist bis ins Erwachsenenalter hinein spürbar. Doch sie lassen sich verändern, wenn man sie erkennt. Therapie, Selbstreflexion und verlässliche Beziehungen helfen, Vertrauen Schritt für Schritt aufzubauen. So bleibt Entwicklung und Heilung auch später noch möglich.
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