Kachelmann-Prozess: „Das ist brutaler Stress“

Vor 18 Menschen und einer Video-Kamera muss das mutmaßliche Kachelmann-Opfer seine Version der Nacht schildern. „Die Wahrheitsfindung vor Gericht ist brutal“, sagt der Münchner Traumapsychologe Gerhard Wolfrum der AZ. „Aber es gibt wenig Alternativen“.
von  Abendzeitung
Im Auto in der Tiefgarage des Mannheimer Landgerichts - das mutmaßliche Opfer
Im Auto in der Tiefgarage des Mannheimer Landgerichts - das mutmaßliche Opfer © dapd

MANNHEIM - Vor 18 Menschen und einer Video-Kamera muss das mutmaßliche Kachelmann-Opfer seine Version der Nacht schildern. „Die Wahrheitsfindung vor Gericht ist brutal“, sagt der Münchner Traumapsychologe Gerhard Wolfrum der AZ. „Aber es gibt wenig Alternativen“.

Die blonden Haare kennt man, die Hand vor der Sonnenbrille, ihren Weg im Auto ihres Anwalts ins Mannheimer Gericht. Aber wie sieht es drinnen aus in der Frau, die sagt, sie sei von Jörg Kachelmann vergewaltigt worden? Am Mittwoch hörten Experten und die Richter die Aussagen der 37-jährigen über die bewusste Nacht. Lügt sie oder nicht? Auf jeden Fall: „Das ist brutaler Stress für sie“, sagt der Münchner Traumapsychologe Gerhard Wolfrum der AZ.

Zunächst kippte das Gericht einen Befangenheitsantrag der Verteidiger. Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen, so wie an den Verhandlungstagen bisher am Mannheimer Landgericht. Dennoch musste die junge Frau, die elf Jahre Kachelmanns Geliebte war, vor 18 Menschen ihre Version darstellen. Berufsrichter, Schöffen, neun Gutachter, die Verteidiger, die Staatsanwälte und schließlich der 52-jährige Wettermoderator selbst.

Ihre Version: In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar war der Schweizer wieder zu ihr gekommen, sie wollte sich von ihm trennen, wollte ihn rauswerfen, weil er sie mit einer Anderen betrog. Der Mann, den Deutschen als Wetterbärchen bekannt, wandelt sich zum Sex-Monster, drückt ihr ein Messer an den Hals und vergewaltigt sie. Nach seiner Verhaftung im März sitzt er vier Monate und eine Woche in U-Haft – „völlig unschuldig“, wie er sagt, nach einvernehmlichem Sex habe er ihre Wohnung verlassen.

Es steht nicht nur Aussage gegen Aussage, es tobt eine Gutachterschlacht, vor und jetzt während dem Prozess:

„Da sitzen Leute, die von Traumas keine Ahnung haben“, sagt Psychotherapeuten Gerhard Wolfrum, der selbst als Gutachter vor Gericht für Vergewaltigungsopfer auftrat.

„Vorausgesetzt, es ist so passiert wie sie sagt, dann erlebt sie das alles noch einmal durch.“

Auch ihre Gedächtnislücken seien als Reaktion auf das Trauma „völlig normal“, sagte der Münchner Psychologe. Ein Trauma sei ein „unerhörter Vertrauensbruch, ein Kontrollverlust, ein Fremdkörper der Normalität.“ Das Gedächtnis blende diese Erlebnisse oft einfach aus.

Ihre Aussagen werden den Gutachtern auf einer Videoleinwand übertragen: „Jetzt ist sie wieder ausgeliefert“, sagt Wolfrum. „Es steht auf des Messers Schneide, es steht viel auf dem Spiel für sie“ sagt Wolfrum. Auch er weiß: Die Tatsache, dass sie sich an wichtige Details nicht erinnern kann, ist womöglich ein Zeichen, dass sie traumatisiert ist. Womöglich aber auch ein Zeichen, dass sie lügt. „Die Wahrheitsfindung vor Gericht ist brutal“, sagt Wolfrum, „aber es gibt wenig Alternativen“.

Matthias Maus

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