"Jeder dachte erst an sich"
MAINZ - Heinz Schön ist heute 82 Jahre alt. Als 18-Jähriger hat er den Untergang der "Gustloff" überlebt. Die Aufarbeitung dieser Tragödie hat er sich zur Lebensaufgabe gemacht. Der Zeitzeuge war auch Berater des ZDF-Zweiteilers. Der AZ hat Heinz Schön ein Interview gegeben.
„Überall lagen totgetrampelte Menschen herum.“ Heinz Schön quält dieses Bild seit mehr als 60 Jahren. Er war in seiner Kammer auf dem Vorschiff der Gustloff, als ein fürchterliches Krachen ertönte. „Drei Torpedos schlugen ein, wir hatten sofort Schlagseite und ich versuchte wie alle anderen auch, nach oben zu kommen“, sagt der 82-Jährige im AZ-Gespräch.
Schön ist einer der rund 1200 Überlebenden der Wilhelm- Gustloff-Katastrophe. Mehr als 9000 Menschen starben beim Untergang des Schiffes am 30. Januar 1945 in der eiskalten Ostsee. Das ZDF zeigt am Montag den zweiten Teil der TV-Produktion „Die Gustloff“, die Zeitzeuge Schön beraten hat.
"Einer riss mir die Schwimmweste vom Leib"
Panik brach aus, als nach dem Angriff des russischen U-Boots eine Masse an Menschen gleichzeitig nach oben zu den Booten wollte. „In dieser schrecklichen Situation dachte natürlich jeder zunächst an sich selbst“, sagt Schön. „Einer hat mir die Schwimmweste vom Leib gerissen, ein anderer den Mantel.“ Als er oben von der Masse regelrecht ans Deck geschleudert worden war, hätten auch ein Ärmel der Uniform und ein Schuh gefehlt, sagt er.
Schön war damals gerade mal 18 Jahre alt. Er arbeitete als Zahlmeister-Assistent auf der Gustloff und war für das Steuern eines der Rettungsboote eingeteilt. „Doch ein Soldat ließ mich nicht aufs Boot“, sagt Schön, „Hier kommen nur Frauen und Kinder rein, schrie der.“ Dann erzählt Schön von dem Mann in Parteiuniform, der erst seine beiden Kinder und dann seine Frau erschießt, bevor er sich selbst die Pistole an die Schläfe setzt und merkt, dass keine Kugel mehr im Lauf ist.
Und von dem jungen Mädchen mit den blonden Locken, das schwer verletzt in einem der Flöße liegt, ihn am Ärmel zieht und stammelt: „Beten“. „Doch auf einmal kam eine riesige Woge, die uns mit ins Wasser riss“, sagt Schön. „Als ich auftauchte, sah ich ein Meer von Köpfen. Das ist auch so ein Anblick, den ich nie vergessen werde.“
"Und die Gustloff versank im Meer"
Bei minus 18 Grad Lufttemperatur gefror Schöns Kleidung sofort, als man ihn aus dem zwei Grad kaltem Wasser in ein vollbesetztes Floß zog. „In diesem Moment sprang die Notbeleuchtung der Gustloff an und man konnte die vielen Menschen erkennen, die sich noch auf dem Deck befanden“, sagt Schön. „Sie alle rutschten laut schreiend über das Deck und fielen ins Wasser. Und die Gustloff versank im Meer.“
Als er diese Szenen im TV-Film von Joseph Vilsmaier sah, habe ihn das sehr ergriffen, sagt Schön. „Wenn man wie ich das als 18-Jähriger alles miterlebt hat und noch einmal sieht, welcher Hölle man entkommen ist, ist das sehr aufwühlend.“ Für einige Sekunden habe er die Augen schließen müssen, um von der Stärke der Erinnerung nicht überwältigt zu werden. „Die Aufarbeitung der Tragödie wurde zu meiner Lebensaufgabe“, sagt Schön.
Es sei wichtig, dass die Menschen erfahren, was damals geschehen ist. Der Film „Die Gustloff“ soll in seinen Augen den über 9000 Toten ein Denkmal setzen. „Ich halte es durchaus für legitim, zu zeigen, dass es auch auf deutscher Seite Opfer gab“, sagt Schön. „Der ZDF-Zweiteiler soll aber gleichzeitig auch Mahnung sein und zeigen, wie schlimm Krieg und Gewaltherrschaft sind.“
Angelika Kahl
- Themen:
- ZDF