Jede Dritte erlebt Gewalt- viele schweigen

Viele Frauen erleben in ihrer Partnerschaft häusliche Gewalt. Oftmals lösen bereits Kleinigkeiten die Prügel aus. Und doch bedarf es einiger Willenskraft den Mann zu verlassen, da die Bindung, paradoxerweise, eng ist. Ein Opfer und eine Autorin erzählen von ihren Erfahrungen.
von  Abendzeitung
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Viele Frauen erleben in ihrer Partnerschaft häusliche Gewalt. Oftmals lösen bereits Kleinigkeiten die Prügel aus. Und doch bedarf es einiger Willenskraft den Mann zu verlassen, da die Bindung, paradoxerweise, eng ist. Ein Opfer und eine Autorin erzählen von ihren Erfahrungen.

Das erste Mal schlug er sie, als sie einen Monat verheiratet waren. Martina (Name geändert) war verblüfft, sprachlos. "Er war nicht einverstanden, wie ich die Hausarbeit erledigte", sagt die heute 30-Jährige der AZ. Martina blieb, bemühte sich. "Oft war er sogar liebevoll, wenn ich wieder sein Lieblingsessen gekocht hatte. Dann dachte ich, er wird mich nicht mehr schlagen, jetzt wird alles gut. Ich liebte ihn."

Fünf Jahre hoffte Martina. Doch die Fäuste ihres Ehemannes trommelten immer häufiger, immer fester auf sie ein. "Meist schlug er mir ins Gesicht, knallte meinen Kopf gegen den Türrahmen", sagt Martina. "Bald prügelte er mich ohne jeden Grund."

In jeder dritten Partnerschaft herrscht die Gewalt

Martina ist kein Einzelfall. Jede dritte Frau erfährt in ihrer Partnerschaft Gewalt. "Das zieht sich durch alle Schichten, alle Altersgruppen, es sind Frauen wie du und ich", sagt die dänische Bestseller-Autorin Hanne-Vibeke Holst. "Auch die Männer sehen nicht wie Monster aus, sondern sind Kollegen, Verwandte, Freunde." Viele Jahre hat Holst in Frauenhäusern für ihren aktuellen Roman "Seine Frau" recherchiert. "Ich sprach mit Karrierefrauen, Top-Models, Ehefrauen von berühmten Männern und musste erkennen: Häusliche Gewalt lässt sich nicht am sozialen Umfeld festmachen."

Viele der Frauen erdulden jahrelang Schläge, sexuelle Erniedrigung und Drohungen. "Das erste Mal ist wie ein Schock," sagt Holst, "man ist verliebt, ihm ist eben einmal die Hand ausgerutscht." Auch seien die Männer selbst über ihre Gewalttätigkeit perplex. "Er entschuldigt sich, ist besonders zärtlich - bis sie wieder einen Fehler macht."

Kleinigkeiten lösen bereits Gewalt aus

Einen Fehler wie die Gabel auf die falsche Seite des Tellers zu legen. Einen Fehler wie Staubsaugen während er zu Hause ist. Einen Fehler wie ein netter Gruss zum Briefträger. "Für Kleinigkeiten glaubt er sie bestrafen zu müssen", so Holst. "Er muss fühlen, dass er seine Frau kontrollieren kann. Macht und Gewalt hängen eng zusammen."

Aus Scham schweigen die Frauen, sagt Holst. "Viele fühlen sich nicht gut genug für ihren Mann." Er schlägt mich, weil er mich so sehr liebt, sei ein gängiges Denken der Misshandelten. "Das ist der Anfang, dann geht es immer weiter in die Gewalt hinein." Die Prügel werden heftiger. "Die Frau stumpft ab. Aber er muss die Angst in ihren Augen sehen, schlägt brutaler", sagt Holst. Die Misshandlung als dunkles Geheimnis bindet die Partner aneinander. Die meisten Frauen gehen erst, wenn der Mann sie fast totgeschlagen hat.

Eine Flucht braucht Kraft

"Es braucht Willenskraft wie bei einem Drogenentzug, um sich aus so einer Ehe zu befreien", sagt Autorin Holst. Mit der Zeit isolieren sich die Frauen. "Man lügt die Kollegen über blaue Flecken an, er verbietet ihr den Kontakt zur Familie, da diese etwas mitbekommen könnten." Martina: "Ich bin nicht mal ins Krankenhaus gegangen, als ich vor Schmerzen kaum noch laufen konnte."

Ihre Freundschaften gab sie auf, ging kaum noch vor die Tür. "Mein Mann verbot mir eine Ausbildung und auch meine Hobbys musste ich aufgeben." Stattdessen putzte Martina. "Ich habe seine Familie bewirtet, ihre Sachen gebügelt, war ihre Angestellte."

Der Höhepunkt ihres Tages war trotz der Angst vor neuen Prügeln, wenn ihr Mann nach Hause kam. "Dann hoffte ich, dass wir etwas mehr Zeit miteinander verbringen könnten." Nachbarn haben sie nie angesprochen, wenn sie mit einem blauen Auge zum Briefkasten ging. "Sie werden nichts bemerkt haben. Ich habe nie geschrien."

Prügel trotz gemeinsamer Tochter

Schliesslich kam ihre gemeinsame Tochter zur Welt. "Als mein Kind wenige Tage alt war, trat er mir in den Bauch." Dass sie ihr Mädchen gerade auf dem Arm hatte, hielt ihn nicht ab. "Er schlug mich, bis ich am ganzen Körper blaue Flecken hatte. " Martina floh zu ihren Eltern. "In der Eile nahm ich ein paar Klamotten, meinen Ausweis mit. Geld hatte ich keins."

Mit der Trennung wurde es schlimmer. "Er wusste immer wo ich bin. Einmal passte er mich auf der Strasse ab und zerrte mich ins Auto." Martinas Stimme stockt als sie sich an die Szene erinnert. "Es war schlimm, was meine Tochter, mit ansehen musste. Es war so entwürdigend."

Als die Drohungen schlimmer wurden, vertraute sich Martina einer Bekannten an. "Sie gab mir die Nummer der Münchner Frauenhilfe. Da wurde auch mir klar, dass ich Hilfe brauchte." Seit einem Jahr lebt Martina jetzt in einem Frauenhaus, möchte eine Friseur-Lehre machen. Die Angst, dass er an der nächsten Ecke, auf dem Weg zum Supermarkt, auf sie warten könnte, packt Martina immer noch. "Ich versuche, diesen Gedanken zu verdrängen. Aber er ist da."

Anne Kathrin Koophamel

Notrufnummer der Münchner Frauenhilfe: 089/ 35 48 30

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