Gesundes Essen: Eine Frage des Geldes?

Eier, Fleisch, Wurst: Bei Metzgern, Läden und Reformhäusern boomt die Bio-Ware. Die Kunden decken sich ein – aber wie lange hält der Trend diesmal?
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Der kleine Ludwig bekommt nur Bio-Kost: Petra Math mit ihrem Sohn bei Herrmannsdorfer.
Petra Schramek Der kleine Ludwig bekommt nur Bio-Kost: Petra Math mit ihrem Sohn bei Herrmannsdorfer.

Eier, Fleisch, Wurst: Bei Metzgern, Läden und Reformhäusern boomt die Bio-Ware. Die Kunden decken sich ein – aber wie lange hält der Trend diesmal?

Die Verwirrung trägt nicht gerade zur Beruhigung der Verbraucher bei: Zunächst hieß es gestern, dioxinbelastetes Schweinefleisch sei aus einem gesperrten Mastbetrieb in Sachsen-Anhalt nach Nordbayern und dort in den Verkauf gelangt, später gab es Entwarnung: Das Fleisch sei nicht mit dem gefährlichen Umweltgift belastet, so das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Belastetes Schweinefleisch aus Niedersachsen könnte aber sehr wohl in den Handel gelangt sein, die Untersuchungen laufen noch. Trotzdem wird Bundeslandwirtschaftministerin Ilse Aigner einen Aktionsplan gegen Dioxin in Lebensmitteln vorlegen. Darin ist eine Zulassungspflicht für Futterbetriebe, die Trennung der Produktion von Futterfetten und technischen Fetten sowie ein schärferes Strafrecht vorgesehen.

Unterdessen gibt es neue Vorwürfe gegen den Futtermittelhersteller in Schleswig-Holstein, der den Skandal ins Rollen brachte. Dort könnte das Dioxin wissentlich in das Futter gelangt sein. Die AZ hat sich in München bei Händlern und Kunden umgehört: Bio-Eier verheißt das Schild im Aldi in der Hopfenpost. Zehn Stück für 2,59 Euro. Doch der Platz unter dem Schild ist leer. Nebendran stapeln sich die Kartons mit Eiern aus Boden- und Freilandhaltung: Auch im Discounter ist der Run auf die Bio-Eier seit Tagen ungebrochen. Schuld ist der Dioxin-Skandal. Denn Bio-Betriebe sind nicht von den Dioxin-Verunreinigungen betroffen.

Bio-Eier sind in vielen Läden bereits ausverkauft

Das weiß auch Ingrid Lichtenegger. „Ich kaufe immer nur Bio-Eier“, sagt die Aldi-Kundin, die diesmal keine Bio-Eier mehr bekommen hat. Der Dioxin-Skandal lässt sie nicht kalt, sie kauft noch bewusster ein: „Ich esse jetzt auch keine Pute mehr.“ Stattdessen ragt eine Packung Rinder-Hüftsteak aus ihrer Einkaufstasche. Beate Lambert hat gut Lachen. Sie ist Marktleiterin im Herrmannsdorfer am Viktualienmarkt. Seit jeder von Dioxin spricht, kommen neben den Stammkunden auch viele fremde Kunden zu ihr in den Laden. „Viele Leute, die bislang konventionell eingekauft haben jetzt Angst.“ Was die Leute kaufen? „Vor allem Eier.“ Auch bei Herrmannsdorfer sind letzte Woche die Eier ausgegangen, kurz vor Heiligdreikönig. 1600 Stück waren innerhalb von einem Tag vergriffen. Das zeigt, wie verunsichert viele Kunden sind. Manche fragen auch nach, erzählt Beate Lambert: „Kann man Euch vertrauen?“

Petra Math aus der Nähe von Herrsching am Ammersee vertraut Herrmannsdorfer schon lange. Und fühlt sich hier mit ihrem 17 Monate alten Buben Ludwig sichtbar wohl. Gerade haben sie eingekauft, jetzt essen sie noch zu Mittag. „Bio schmeckt einfach besser.“ Die 32-Jährige kocht jeden Tag frisch und legt dabei Wert auf Bio. Seit dem Dioxin-Skandal sogar noch mehr. „Bis vor kurzem haben wir die Eier bei Bauern aus der Region gekauft. Aber jetzt achten wir darauf, dass sie Bio sind.“

Essen ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr zur Gewissensfrage geworden. Du bist, was du isst, besagt ein Sprichwort. Gleichzeitig gilt: Du isst, was du dir leisten kannst. Bio empfinden viele als unbezahlbar. Doch regelmäßig sorgen Lebensmittelskandale dafür, dass viele ihre Essensgewohnheiten überdenken. Und im Moment ist die Verunsicherung groß. Zuerst bei den Eiern. Jetzt auch bei Schweinefleisch. Es ist Mittag und bis jetzt hat Metzgermeister Johann Modl in der Metzgerei Rudolf Maier noch kein Schweinefleisch verkauft: „Kein Kotelett, kein Schnitzel, keine Wammerl.“ Ganz anders sieht es bei der Wurst aus: Hier halten sich die Kunden überhaupt nicht zurück. Modl schüttelt den Kopf: „Mich wundert’s, weil Schweinefleisch ja überall drinnen ist.“ Das hat mancher verunsicherte Kunde wohl nicht bedacht.

"Es geht um gute Qualität"

Gleichzeitig sind auch manche Händler verunsichert. „Wenn ein Foto von meinen Eiern in der Zeitung ist, glaubt doch jeder gleich das Schlimmste“, sagt eine Händlerin am Viktualienmarkt. Dabei steht gerade der Viktualienmarkt für Qualität und nachvollziehbare Herkunft. Wer hier einkauft, kauft bewusst. Auch Verkäuferin Semra Öskürc von Spegassners Geflügelladen ist erstmal skeptisch, erzählt dann aber doch. „Unsere Stammkunden wissen, dass sie hier gute Qualität bekommen.“ Vor ihr thronen die Kartons mit den Eiern. Aus Freilandhaltung, aus Bodenhaltung und Bio-Eier. Ja, die Nachfrage nach Bio-Eiern ist seit dem Skandal gestiegen.

„Die Verbraucher sind selbst schuld“, mischt sich eine Stammkundin ein und spricht von „Billig-Mentalität“. „Wer Qualität will, muss auch einen anständigen Preis zahlen.“ Im Moment scheint die Bereitschaft dafür größer. Das zeigt auch die Nachfrage in der Nachbarschaft. „Die Lieferanten fahren Extra-Touren“, erzählt Filialleiterin Bärbel Schweikle vom Reformhaus Vitalia am Viktualienmarkt. „Ich habe das Gefühl, die Kunden decken sich richtig ein. Ein paar Kunden sind mit vier bis sechs Kartons unterm Arm aus dem Laden gegangen.“ Dem Bio-Image tut’s gut, glaubt Schweikle. „Es geht um gute, kontrollierte Qualität.“

Aber wie lange werden Bio-Produkte noch so stark nachgefragt? Wie viele Kunden kaufen in zwei, drei Wochen noch im Herrmannsdorfer oder im Reformhaus statt beim Discounter ein? Ingrid Lambert von Herrmannsdorfer am Viktualienmarkt macht sich da keine großen Illusionen: „Wenn’s nicht mehr in den Medien ist, ist’s vorbei. Denn Bio ist eine Geldfrage.“

Vanessa Assmann

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