Gedenktage für alles und jeden: Ehret den Bananensplit und die Putzfrau!
Hunderte Gedenk- und Feiertage ringen um Beachtung. Die besten und blödesten – und was hinter diesem Boom steckt
Sollte Ihnen der verhasste Nachbar am Sonntag unerwartet zugewunken haben – keine Sorge, wahrscheinlich wollte er Sie nicht verhöhnen, sondern nur einen wenig bekannten Feiertag zelebrieren. Denn jedes Jahr am 7. Februar ist offizieller „Winke-deinem-Nachbarn-mit-allen-fünf-Fingern-Tag“, an dem jeder aufgerufen ist, nachbarschaftliche Differenzen zumindest für 24 Stunden beizulegen.
Warum der Name so ausführlich ist? Wahrscheinlich, damit niemand auf die Idee kommt, nur den einen Finger zu nehmen.
Fest steht: Langsam wird’s wirklich eng im Kalender. Hunderte Feier- und Gedenktage wetteifern um einen möglichst exklusiven Platz, buhlen um Beachtung für so unterschiedliche Dinge wie Menschenrechte, Salamis, Vegetarismus, Hochhäuser, Taschenlampen und Tropenwälder.
Das liegt auch daran, dass nicht einmal Deutschland oder die EU eine „Gedenktagsfestlegungskommission“ einberufen hat, die entscheidet, wann man was feiern muss. Zwar gibt es rund 60 von der Uno bestimmte, trotzdem darf jede andere Organisation, jedes Unternehmen und sogar jede Privatperson einen eigenen Tag ausrufen. Die Frage ist nur, ob es jemand mitbekommt!
Dann nämlich kann so ein Gedenktag eine erstaunliche Karriere hinlegen. So wie der „Welttag der Putzfrau“, der eine reine Erfindung der deutschen Krimi-Autorin Gesine Schulz ist. 2004 schrieben Anhänger diesen Tag aus Jux einfach mal in die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Erst nach Monaten kamen ihnen aufmerksame Benutzer auf die Schliche und entfernten den Tag wieder. Da hatten aber bereits mehrere überregionale Medien berichtet, sogar die Gewerkschaften kämpften am 8. November energisch für die Rechte der Reinigungskräfte. Der Tag war etabliert – und wurde wieder eingefügt.
Besonders viele Gedenktage kommen aus den USA. Dort gibt es für fast jede Eissorte einen eigenen Termin im Kalender, sogar der Bananensplit wird durch das gemeinsame Verzehren eines Bananensplits gebührend gefeiert.
Auch der „Tag des Schweinebratens“ am 7. März ist keine deutsche, sondern eine amerikanische Idee. Ironischerweise begeht man hierzulande zeitgleich den „Tag der gesunden Ernährung“. Man muss sich also entscheiden.
Wie auch am „Tag des Buches“, der durch eine fast mystisch zu nennende Koinzidenz mit dem „Tag des Bieres“ am 23. April kollidiert. Der Bund der Brauer schlägt salomonisch vor, dass Autoren aus ihrem „Bier-Buch“ lesen. Vielleicht könnte man für einen Tag auch einfach ein paar Klassiker umbenennen: zum Beispiel „Die Biertrommel“, „Madame Biervary“, „Effi Bierst“, und, von William Shakesbier, „Viel Schaum um nichts“.
Doch woher kommt dieser Gedenktags-Boom eigentlich? Außer Frage steht wohl, dass viele der Tage schlicht und einfach gute Ausreden für eine kleine Party sein sollen – so wie der „Tag der Salami“, an dem man sich den Veranstaltern zufolge gerne auch als Dauerwurst verkleiden dürfe.
Oder der „Darwin-Tag“, der Geburtstag des Evolutionsbiologen, an dem sich weltweit Wissenschaftler als Affen kostümieren, falsche Rauschebärte tragen und ein Bankett veranstalten, auf dem zähflüssige „Ursuppe“ serviert wird. Und am „Tag des Bunsenbrenners“, den Fans am 31. März mit der Knallgasprobe einläuten, ist für festliche Beleuchtung ohnehin gesorgt.
Einmal jährlich wollen auch die Schwertschlucker in aller Munde sein
Daneben hat die Häufung aber auch, etwas hochtrabend formuliert, mit der Funktionsweise unserer Mediengesellschaft zu tun. Denn für Zeitungen, Zeitschriften, Fernseh- und Radiosender gilt meistens die Regel: kein Bericht ohne aktuellen Anlass! Das lernt jeder Redakteure spätestens, wenn er seinem Vorgesetzten vorschlägt, „einfach mal so“ etwas über dieses oder jenes Thema zu schreiben oder auszustrahlen.
Schwertschlucker wollen daher mit dem „Tag des Schwertschluckers“ wenigstens einmal jährlich in aller Munde sein. Schlafforscher wenigstens am „Tag des Schlafes“ interviewt werden. Lehrer wenigstens am „Tag des Lehrers“ bemitleidet. Und auch für ein Problem wie Analphabetismus gibt es wenig Aufhänger, solange sich nicht ein Prominenter dazu bekennt oder es eine neue Statistik gibt, was beides selten der Fall ist.
So bringen manche Gedenktage in der Tat Themen auf die Agenda, über die sonst wenig nachgedacht wird. Nächsten Montag zum Beispiel den Regenwurm, der offenbar so viele Sympathisanten hat, dass umstritten ist, ob seiner Existenz am 15. Februar, 23. April oder 23. Juni gehuldigt werden soll. Ein Blogger plädiert für „eine Serie von woodstockartigen Mega-Konzerten zu Ehren des Regenwurms“, und die Stadt Düsseldorf organisierte bereits einen „Markt rund um den Wurm“ – mit dem zoologisch bemerkenswerten Programmpunkt „Regenwürmern über die Schulter geschaut“.
Timo Lokoschat
Heute erscheint das Buch "Es wird eng im Kalender. 365 kuriose Gedenk- und Feiertage" von Timo Lokoschat bei Sanssouci im Hanser Verlag
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