Fall Jonny K.: "Ich will wissen, wer schuld ist"

Prozessauftakt im Fall Jonny K.: Der 20-Jährige wurde am Berliner Alexanderplatz totgeprügelt. Sechs junge Männer stehen vor Gericht.
von  Mark Bihler
Jonny K. starb nach einer Prügel-Attacke am Berliner Alexanderplatz.
Jonny K. starb nach einer Prügel-Attacke am Berliner Alexanderplatz. © dapd

 

Prozessauftakt im Fall Jonny K.: Der 20-Jährige wurde am Berliner Alexanderplatz totgeprügelt. Sechs junge Männer stehen vor Gericht.

Berlin - Als sie in den Saal 500 im Landgericht Berlin-Moabit kommen, halten sich die mutmaßlichen Totschläger Akten und Zeitungen vor die Gesichter. Eine Scheibe trennt die sechs Angeklagten zudem von Fotografen und Publikum. Denn der Saal 500 wird auch für Prozesse gegen Schwerstverbrecher genutzt, verfügt deshalb über spezielle Kabinen. So kommen die Schläger unverhofft zu viel Schutz. Den hatte das Opfer Jonny K. nicht, als er in der Nacht zum 14. Oktober am Berliner Alexanderplatz totgeprügelt wurde. Das Gericht muss jetzt klären, wie der 20-Jährige ums Leben kam. Die Angeklagten schoben sich beim Prozessauftakt gestern die Schuld gegenseitig in die Schuhe.

Die Tat. Der frühe Morgen des 14. Oktober 2012: Jonny K. ist mit Freunden auf dem Heimweg. Gegen 3.45 Uhr schaut sich die Gruppe am Alexanderplatz nach einem Taxi um. Einen angetrunkenen Freund wollen sie auf einen Stuhl setzten. Die sechs Angreifer kommen hinzu. Onur U (19), einer der Hauptverdächtigen, zog angeblich den Stuhl weg. „Was soll das?“, soll Jonny K. ihn noch gefragt haben.

Dann soll Onur U. sofort auf ihn eingeschlagen haben. So schilderte Hüseyin I. (21), einer der Angreifer, Ermittlern den Tathergang. Seine Version: Während Onur U. auf Jonnys Freund Gerhardt einprügelte, sprang Bilal K. (24) Jonny gegen die Brust. Dieser ging zu Boden, knallte mit dem Kopf auf den Gehweg. Bilal K. trat dann angeblich gegen Jonnys Kopf. „Ob gestampft oder mit dem Spann“, wisse er nicht mehr genau, so Hüseyin I. zur Polizei. Den auf Gerhardt einschlagenden Onur U. habe er mit den Worten „Was machst du, willst du ihn umbringen“ von seinem Opfer weggezogen, behauptete Hüseyin I.

Der Notarzt muss Jonny K. vor Ort wiederbeleben. Er kommt ins Krankenhaus. Am 15. Oktober um 9.57 Uhr erliegt er einer Hirnblutung.

Die Hauptverdächtigen. Das Gericht muss herausfinden, ob die Version von Hüseyin I. stimmt, oder nur eine Schutzbehauptung ist. Der Hauptbeschuldigte Onur U. ließ gestern vor Gericht prompt eine Erklärung verlesen. „Ich habe weder geschlagen noch getreten“. Der Ex-Boxer war wie der zweite Hauptverdächtige Bilal K. nach der Tat in der Türkei untergetaucht. Dort spürten ihn Reporter auf. „Die wollen mir die Schuld geben, um von sich abzulenken“, behauptete Onur U. schon damals.

Erst als die Türkei gegen ihn einen Mord-Prozess anstrebte, flog Onur U. im April nach Deutschland und stellte sich. Denn in Berlin ist er nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Eine Tötungsabsicht sei den Angeklagten nicht nachzuweisen, so die Staatsanwaltschaft. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich für eine Überstellung von Onur U. nach Deutschland eingesetzt.

Auch der zweite Hauptverdächtige Bilal K. stellte sich nach seiner Flucht. „Er ist kein Schlägertyp. Er will sich seiner Verantwortung stellen“, so sein Anwalt. Vier weitere Angreifer stehen ebenfalls vor Gericht. Alle wollen aussagen. Die Chancen, dass der Schuldige für den Tod von Jonny K. gefunden wird, stehen gut.

Die Schwester. „Ich will wissen, wer schuld ist“, sagte Jonnys Schwester Tina K. gestern vor Prozessbeginn. „Die Jungs sollen sagen, was passiert ist und sich nicht gegenseitig die Schuld geben“, forderte die 28-Jährige. Doch der jungen Frau geht es noch um viel mehr. Schon kurz nach Jonnys Tod trat sie bei Anne Will und Maybrit Illner im TV auf und gibt ihrem toten Bruder ein Gesicht. „My name is Tina and I am Jonny“, sagte Tina K. vor laufenden Kameras unter Tränen. Damit verfolgt sie mehrere Ziele. Erstens: das Andenken an Jonny zu bewahren. Dafür hat sie einen Verein gegründet. Zudem wirbt sie an Schulen für Respekt und Toleranz. Immer im Gepäck ihr Lieblingssatz: „So ein Verbrechen darf nie wieder geschehen, deshalb bin ich hier“. Und deshalb sitzt Tina K. auch im Berlin.

 

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