Facebook: Der digitale Seelenstrip
Zwei Millionen Deutsche entblättern sich jetzt in der Online-Community. Was sie antreibt und welche Risiken Experten sehen
„Meine Daten müsst ihr raten!“, stand auf den Plakaten, als sich in den 80ern eine Widerstandsbewegung gegen die Volkszählung formierte. Kritiker aus allen Lagern witterten einen Angriff auf Demokratie und persönliche Freiheit, sahen die Bundesrepublik in einer Linie mit der DDR. Dabei wollte der Staat noch eher harmlose Dinge wie Alter, Geschlecht und Schulabschluss erfragen, zudem anonymisiert. Lächerlich wenig jedenfalls im Vergleich zu dem, was Mitglieder der Internet-Community Facebook, die gerade ihren zweimillionsten deutschen Benutzer vermeldet, heute freiwillig in aller Online-Öffentlichkeit über sich preisgeben.
Ski fahrend, Bier trinkend, Haschisch rauchend oder im Vollrausch eine Kloschüssel umarmend – so oder anders präsentieren sie sich auf Bildern in ihren „Profilen“. Erteilen lustvoll Auskunft über das abgelaufene Verfallsdatum ihrer Halbfettmilch, über musikalische, sexuelle, zoologische und alkoholische Vorlieben, den Zustand ihrer Magenflora und ihrer Liebesbeziehung.
Nach eBook kommt die eTrennung
Zuletzt war’s Chelsy Davy, die auf Facebook viel beachtet ihren Status von „In einer Beziehung“ auf „Single“ änderte, um ihrem Prinzen-Proll Harry Mountbatten-Windsor sowie dem Rest der WWWelt mitzuteilen, dass Schluss sei. Nach eBook jetzt die eTrennung – da soll noch einer sagen, die Royals gingen nicht mit der Zeit.
Leider reagieren nicht alle Landsleute so gelassen. Ebenfalls in England wurde diese Woche ein Mann zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, der seine Frau ermordet hatte, weil er sich öffentlich gedemütigt fühlte. Grund: Sie firmierte online nicht mehr als „verheiratet“. „Der Facebook-Mörder“, titelt die britische Presse.
Dass aber auch ohne tragischen Ausgang Risiken drohen, wollte das französische Magazin „Le Tigre“ demonstrieren, druckt in seiner aktuellen Ausgabe ein Porträt, das Liebesleben, Hobbys und Arbeit eines Menschen en detail beschreibt. Das Besondere: Alle Angaben über die zufällig ausgewählte, unbekannte Person speisen sich aus deren Offenbarungen bei Facebook und Co!
„Ich habe sofort alles über mich im Internet gelöscht“, bekannte der Porträtierte nach der Veröffentlichung geschockt. Der Bericht habe ihm nächtelang den Schlaf geraubt. Dabei waren seine Intimitäten ja eigentlich schon zuvor für jedermann sichtbar ausgebreitet.
„Mischung aus Voyeurismus und Exhibitionismus“
Was also treibt Erwachsene dazu, im Internet Dinge preiszugeben, die sie in der Realität wahrscheinlich nicht einmal ihrem Beichtvater auf dem Sterbebett anvertrauen würden? „Es ist eine Mischung aus Voyeurismus und Exhibitionismus“, sagt Thomas Knieper, Kommunikationswissenschaftler und Professor an der Universität Braunschweig, der AZ. Und warnt vor allzu naivem Gebrauch der „sozialen Netzwerke“, vor allem davor, „strafrechtlich relevante Fakten“ über sich mitzuteilen.
Doch auch beruflich kann sich das Online-Geplapper als Bremsklotz erweisen. „Viele Personalentscheider suchen heute im Internet nach Informationen über den Kandidaten, klopfen Lebensläufe ab, überprüfen Referenzen – und stöbern natürlich auch bei Facebook“, so Knieper. Logisch, dass Bilder vom letzen Fußballstammtisch oder der eigenen Hanfpflanzenzucht nur selten ins Bewerberprofil passen.
Timo Lokoschat
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