Experten nach Erdbeben von L'Aquila freigesprochen
Es war ein Schock für die Fachwelt: Mehrere Seismologen sollen nicht ausreichend vor dem Beben von L'Aquila gewarnt haben - im Jahr 2012 erhielten sie dafür Haftstrafen. Nun wurden sie freigesprochen. Doch das dürfte nicht das letzte Wort gewesen sein.
L'Aquila - Zwei Jahre nach ihrer ersten Verurteilung sind mehrere Experten, die nicht eindringlich genug vor dem Erdbeben von L'Aquila gewarnt haben sollen, freigesprochen worden. Ein Berufungsgericht in der mittelitalienischen Stadt entschied laut Nachrichtenagentur Ansa, dass keine Straftat vorliege. Lediglich einer der sieben Angeklagten wurde wegen weiterer Vorwürfe zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Urteil, das heftige Reaktionen auslöste, ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Bei der Naturkatastrophe waren am 6. April 2009 in der Region rund um L'Aquila mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen und Zehntausende obdachlos geworden.
Die Fachleute waren im Oktober 2012 wegen ungenauer Vorhersagen zu je sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Entscheidung hatte in der Fachwelt Empörung ausgelöst. Den sechs Seismologen und einem Beamten des Katastrophenschutzes war vorgeworfen worden, nicht ausreichend vor dem schweren Beben gewarnt zu haben. Sie sollen die Bevölkerung rund um L'Aquila nur "ungenau, unvollständig und widersprüchlich" über die Gefahren eines Bebens informiert haben. Die Experten-Kommission hatte eine Woche vor dem starken Beben getagt und nicht eindeutig gewarnt.
Die Reaktionen auf das neue Urteil fielen sehr unterschiedlich aus: Die Menschen in L'Aquila zeigten sich entsetzt, einige von ihnen verfolgten die Verkündung im Gerichtssaal und schrien "Schande, Schande", wie Ansa berichtete. Andere seien vor dem Gericht in Tränen ausgebrochen und haderten mit der Entscheidung.
Generalstaatsanwalt Romolo Como sagte laut Ansa, er habe sich eine deutliche Neubeurteilung der Strafen vorgestellt, "aber keinen solchen kompletten Freispruch". Die Anklagebehörde hatte im ersten Prozess eine Haftstrafe von vier Jahren gefordert. Das Gericht war dann sogar noch darüber hinaus gegangen.
Der Anwalt der Nebenklage, Attilio Cecchini sagte: "Dieses Urteil überrascht uns und ist ein Erdbeben im Erdbeben." Er werde in jedem Fall dagegen vorgehen. Dann müsste sich als letzte Instanz der Kassationsgerichtshof in Rom mit dem Fall befassen.
Genugtuung dagegen in der Fachwelt: Italiens Nationalinstitut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) begrüßte den Richterspruch, der zeige, dass die beteiligten Kollegen immer korrekt gehandelt hätten.
Das Erdbeben von L'Aquila und seine Folgen beschäftigen die italienische Justiz bereits seit einigen Jahren. In Italien werden harte erstinstanzliche Urteile in Berufungsverfahren oft abgemildert.
Die Verurteilung in erster Instanz war von zahlreichen Experten scharf kritisiert worden. Auch die Angeklagten hatten sich stets als unschuldig bezeichnet. Erdbebenforscher hatten darauf hingewiesen, dass es kaum möglich sei, größere Beben wissenschaftlich vorherzusagen. Kritiker warnten damals, das Urteil könne weltweit Auswirkungen haben, weil Wissenschaftler Angst haben müssten, sich öffentlich zu äußern.
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