Experte über Zukunft der Luftfahrt: Zu diesem Zeitpunkt wird sich die Branche erholt haben

AZ-Interview mit Cord Schellenberg: Der Hamburger ist Luftfahrtexperte und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Wandel der Branche, der Entwicklung von Flughäfen und Airlines.
AZ: Herr Schellenberg, anstatt Visionen haben sich in der Luftfahrtbranche zuletzt eher Albträume breitgemacht. Wie sieht die Zukunft aus?
CORD SCHELLENBERG: Kurzfristig ist die Zukunft sehr eingeschränkt, weil die Menschen erst wieder in größeren Mengen fliegen werden, wenn viele der Reisenden geimpft sind. Und auch für die Länder, die Gäste empfangen, ist es wichtig zu wissen: hier kommen Menschen, die diesem Land guttun.
Und langfristig gesehen - wird die Nachfrage nach Flügen zurückgehen?
Nein, ich glaube, dass die Nachfrage wieder ein gesundes Niveau von 2019 erreichen wird. Ob das jetzt im Jahr 2023, 24 oder 25 sein wird, kann niemand sagen. Aber grundsätzlich ist das Interesse am Reisen genau so groß - wenn nicht sogar größer, da in vielen Ländern ja die Mittelschicht weiter wächst, beispielsweise in China. Entsprechend größer wird dann auch die Nachfrage nach klassischen Auslandsreisen.
Wie sind Ihre Prognosen für Geschäftsreisen?
Hier hat sicherlich der eine oder andere entdeckt, dass Videokonferenzen gut funktionieren, insbesondere kurze Meetings. Da wird es Veränderungen geben. Aber Menschen online kennenzulernen ist eben auch nur der Anfang eines Kennenlernens. Es wird weiterhin wichtig sein, sich von Angesicht zu Angesicht zu sprechen und dabei auch kulturell auszutauschen. Und dass man Geschäftsverträge besser persönlich verhandelt als übers Internet, dürfte auch klar sein.
Werden Urlauber nach den Erfahrungen mit den Rückholaktionen künftig eher Pauschalreisen buchen anstatt einzelner Flüge?
Die Pauschalreise wird natürlich immer mehr Absicherung bieten - und es gibt in Deutschland auch weiter einen großen Markt dafür. Aber viele möchten auch individuell verreisen, und ich kann mir gut vorstellen, dass es auch dafür weiter viele Angebote geben wird. Generell müsste man für den Verbraucher jedoch mal eine Lanze brechen, dass es nicht sein kann, dass er auch in Zukunft immer in Vorleistung geht. Und er eben nicht nur eine Anzahlung leistet, sondern insbesondere bei Flügen das gesamte Ticket vorab bezahlen muss. Das ist eine Ungleichgewichtigkeit für Privatkunden - verglichen mit Firmen, die damit sicherlich anders umgehen können.
Wie sieht es generell mit den Preisen aus, werden sie steigen?
Es wird sicherlich so sein, dass etwas exotischere Ziele auch etwas höher bepreist werden. Bei den frequentierteren Reisezielen innerhalb Europas jedoch wird sich der Wettbewerb zwischen den klassischen Airlines und den Low-Costern weiter verschärfen. Denn beide wollen jetzt denselben Passagier: den Privatreisenden, der zeitlich flexibel ist in seiner Planung und seine Reiseziele vielleicht auch etwas nach Angebot und Preis sortiert.
War das vorher anders?
Klassische Airlines wie die Lufthansa haben sich über Jahrzehnte stark auf Geschäftsreisende konzentriert. Jetzt werden sie auf den Zielen in die Feriengebiete plötzlich der Herausforderer: weil das Privatreisesegment schneller wieder anspringt. Und da wird man dann mit dem ein oder anderen guten Preis auf sich aufmerksam machen müssen.
München als Lufthansas Darling?
Die großen Zentren Europa, USA und China werden sich also vermutlich erholen. Doch wie sieht es mit Drehkreuzen wie Dubai, Abu Dhabi oder Katar aus?
Die sind in den letzten Jahrzehnten sehr gewachsen, aber es leben dort verhältnismäßig wenig Menschen - verglichen mit dem, was man als Flug-Angebot dort hat. Diese Airlines rund um den Nahen Osten werden alle den Umsteigeverkehr weiter fördern, denn ihre Flugzeuge sind zu groß, um sie nur für Flüge nach Abu Dhabi oder Dubai einzusetzen.

Was bedeutet die Krise für die großen deutschen Flughäfen in Frankfurt und München?
Die wichtige Drehscheibenfunktion werden beide Flughäfen sicherlich behalten. In den letzten Jahren sah es ja so aus, dass München ein bisschen mehr Lufthansas Darling war als Frankfurt. Das könnte jetzt auch beim Hochlauf wieder der Fall sein: dass München gegenüber Frankfurt vielleicht ein Stück weit bevorzugt wird. Auch, um in Frankfurt noch besseres Entgelt verhandeln zu können.
Luftfahrtexperte Schellenberg: Kleine Flughäfen könnten es schwer haben
Und was wird aus den vielen kleinen Regionalflughäfen wie zum Beispiel Memmingen?
Da hängt es davon ab, ob der Betrieb wirtschaftlich sinnvoll ist. Und Memmingen ist ein gutes Beispiel dafür: Hier agiert eine Initiative aus der Wirtschaft heraus, die einen wirtschaftlich sinnvoll arbeitenden Flughafen aufgebaut hat. Der Standort hat sicher Chancen, mit Ryanair und Wizz Air auch weiterhin seine Stammkunden im Low-Cost-Segment zu halten und sogar noch auszubauen. Allerdings könnten es kleine Flughäfen, die keine fest niedergelassenen Airlines wie in Memmingen haben, schwer haben.
Wie lang wird die Luftverkehrswirtschaft brauchen, um sich von der Pandemie zu erholen?
Ich glaube, so lange, wie die Gesellschaft selber braucht, um sich zu erholen - und entsprechend die Wirtschaft in den einzelnen Ländern.
Würden Sie einem jungen Menschen mit dem Berufswunsch Pilot heute noch raten, eine solche Ausbildung zu machen?
Ach, grundsätzlich finde ich es gut, Träume zu leben. Ich würde aber raten, die Berufsausbildung breit anzulegen und vorher vielleicht noch etwas anderes zu studieren oder zu lernen. Ich denke, in fünf oder zehn Jahren werden wir sagen können, das war eine schlimme Zeit für die Menschen und die Wirtschaft. Aber durch den anschließend stark wachsenden Reiseverkehr wird sich das dann wieder ausgeglichen haben.