Experte: "Deutschland hat ein gespaltenes Verhältnis zum Datenschutz"
Datenschutzexperte Thomas R. Köhler ist Geschäftsführer der Technologieberatung CE21 und Autor vieler Bücher zu Digitalthemen. Im Frühjahr erscheint von ihm: "Chefsache Cybersicherheit" (Campus).
Alle wollen in den Club: "Clubhouse", eine Audio-App, ist der Renner. Thomas Köhler erklärt der AZ, was es mit der Anwendung der US-Firma "Alpha Exploration", die schon im Frühjahr 2020 mit nur 1500 aktiven Teilnehmern in den USA mit 100 Millionen US-Dollar bewertet worden ist, auf sich hat, welche Gefahren sie birgt und warum er denkt, dass hierzulande paradoxe Prioritäten in Sachen Datenschutz gesetzt werden.

AZ: Herr Köhler, spätestens seit Bodo Ramelow kürzlich auf Clubhouse über seine Vorliebe für Handy-Spiele während Ministerpräsidentenkonferenzen geplaudert hat, ist die App in den Nachrichten angekommen. Was hat es damit eigentlich auf sich?
THOMAS R. KÖHLER: Clubhouse ist eine App, in der man mit anderen Leuten reden kann - und weitere können zuhören, wie auf einer virtuellen Party, wo man sich zusammenfindet und in einer Runde über ein Thema diskutiert, zum Beispiel über Fußballergebnisse. Die Themen sind von banal bis Business breitgefächert. Man kann sich in Räumen zusammenfinden, eine Art Podiumsdiskussion führen und Zuhörer einladen. Im Prinzip ist es wie eine Talkshow per Ton. Man kann also in einer lustigen Runde diskutieren, unterstützt von einer sehr cleveren App.
Clubhouse und Datenschutz - Jetzt spricht ein Experte
Das klingt ganz positiv. Es sind ja schon mehrere Politiker dort aktiv, unter anderem FDP-Chef Christian Lindner und CSU-Digitalministerin Dorothee Bär.
Daran stört mich, dass sich Politiker einerseits für Datenschutz stark machen und Unternehmen in Deutschland mit Datenschutzregeln gängeln oder die für unser aller Gesundheit wichtige Corona-App ausbremsen - und gleichzeitig lassen sie es zu und fördern es sogar, dass der Anbieter einer App, die sich überhaupt nicht um europäische Regeln schert, tun und lassen kann, was er will.
Sie müssten also einschreiten?
Clubhouse richtet sich explizit an deutsche Kunden, aber die Datenschutzerklärung gesteht deutschen Nutzern keinerlei Rechte zu. Das dürften die Politiker nicht bejubeln, sie müssten das verbieten oder sanktionieren. Es wundert mich sehr, dass sich beispielsweise die Datenschützer der Länder nicht positionieren und sagen, dass das, was Clubhouse da treibt, dringend einer Nachbesserung bedarf.
"Aus Sicht lokaler Start-ups ist das Wettbewerbsverzerrung"
Eine erste Abmahnung gibt es.
Immerhin hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) nun reagiert und das Unternehmen wegen Datenschutz abgemahnt. In der Abmahnung geht es zwar nur zum Teil um den Datenschutz, dennoch ist das ein wichtiger Schritt in Richtung fairen Wettbewerb. Ich schätze Dorothee Bär wirklich sehr als Digitalministerin, aber sich jetzt hinzustellen und zu sagen, man muss der App eine Chance geben, ist aus Sicht lokaler Start-ups, die an ähnlichen Themen arbeiten, eine deutliche Wettbewerbsverzerrung. Denn würde ich als deutsches Unternehmen so handeln wie Clubhouse, würde ich saftige Sanktionen riskieren.
Worin liegen denn genau die Probleme beim Datenschutz in der App Clubhouse?
Die App weist unglaubliche Datenschutzmängel auf: EU-Vorschriften werden mutwillig ignoriert. Rechte haben nach der aktuell vorliegenden, nur auf Englisch verfügbaren Erklärung nur Einwohner von Kalifornien. Allen anderen wird lediglich mitgeteilt, dass ihre Daten in die USA übertragen und dort gespeichert werden. Clubhouse sammelt und verarbeitet den von den Nutzern erstellten Inhalt, Daten wie Name, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Foto, Nutzungsdaten wie die Interessen an Themen und die Interaktion mit anderen Teilnehmern, Ortsdaten und Daten über das Endgerät selbst. Clubhouse speichert auch die Audiobeiträge.
Im Fall Ramelow soll ja auch mitgeschnitten worden sein.
Der Fall Ramelow hat so gesehen mit Datenschutz nichts zu tun. Er ging vollkommen fälschlicherweise davon aus, dass es sich um eine private Veranstaltung handelt, aber das war es nicht und es war auch ein Journalist dabei, wie es bei öffentlichen Veranstaltungen üblich ist. Clubhouse darf die Gespräche aufzeichnen, zu "Qualitätszwecken", wie es heißt, damit Moderatoren auswerten könnten, sollte es zu problematischen Inhalten kommen. Ich weiß aber nicht, ob das überhaupt stattfindet, ob sie überhaupt deutschsprachige Moderatoren haben, die das bewerten könnten.
Kritikern zufolge werden in den USA über die App antisemitische und alle möglichen menschenfeindlichen Inhalte verbreitet - und es wird nichts dagegen unternommen.
Das Problem haben alle Plattformen über kurz oder lang. Es führt dann wieder zu der Frage, welche Haftung man als Plattformbetreiber übernehmen muss. Facebook hat immer gesagt, sie wären eine Plattform, die sich ja dann eben nicht um Inhalte kümmern muss, aber wenn es ihnen hilft, sind sie dann doch ein Medienhaus. Diese Debatte wird sich bei Clubhouse wiederholen und sie wird meiner Prognose nach viel heftiger ausfallen als bei Twitter oder Facebook.
Wie verdient Clubhouse Geld?
Warum?
Weil es viel einfacher ist, einen geschriebenen Text per Automat auf zweifelhafte Inhalte zu überprüfen. Gesprochene Inhalte sind viel schwieriger zu analysieren. Das benötigt viel mehr Rechenleistung oder es braucht Menschen, die das alles anhören, also in jedem Raum einen Zuhörer, was ein Riesenaufwand ist - und das bei einer App, die weder Mitgliedsbeiträge erhebt, noch Werbung einblendet.
Aber womit verdient die App dann eigentlich ihr Geld?
Mit den Daten! Deswegen ist es ja auch von dem Gesichtspunkt aus verständlich, dass sie so viele Daten einsammeln wie nur möglich. Sie verwenden auch Daten, die sie gar nicht brauchen, beispielsweise den Standort. Warum muss Clubhouse wissen, wo ein Teilnehmer ist? Wir wissen auch nicht, ob die App das permanent macht oder nur, wenn man wirklich in einem dieser Gesprächsräume ist. Es gibt ja durchaus Anwendungen, die die Nutzer permanent tracken, auch wenn die App gar nicht benutzt wird. Alle regen sich auf, etwa über die neuen Datenschutzregeln bei Whatsapp. Ich kann dazu nur sagen: Clubhouse ist um Welten schlimmer.
Sie haben die Corona-Warn-App schon angesprochen, die auf viel Skepsis gestoßen ist. Whatsapp und jetzt eben Clubhouse nutzen aber viele recht arglos. Warum?
Grundsätzlich haben wir in Deutschland ein gespaltenes Verhältnis zum Datenschutz. Die Älteren erinnern sich an die Volkszählung vor Jahrzehnten, da gab es einen Riesenaufschrei. Es ist verankert im deutschen Wesen, dass man gegenüber staatlichen Datensammlungen eine riesige Skepsis hat. Das hat dazu geführt, dass man bei der Corona-Warn-App viele Funktionen rausgenommen hat, etwa im Vergleich zu Singapur.
Inwiefern?
Die haben eine wesentlich wirkungsvollere Warn-App, aber sie haben massive Kompromisse beim Datenschutz gemacht. Da wird die Quarantäne überwacht und es geht dann etwa eine Meldung an Behörden. Mit der Folge, dass Singapur, obwohl es ein internationales Drehkreuz ist, das Thema Corona deutlich besser im Griff hat als Europa. Obwohl ich Datenschützer bin, bin ich - aus gesundheitspolitischen Gründen - schon ein Freund der Singapur-Lösung. Das ist in Deutschland aus Datenschutzgründen aber derzeit nicht durchsetzbar.
Aber es ist doch ein Unterschied, ob ich meine Daten freiwillig einer Firma gebe, die damit nur Geld machen will, oder dem Staat, der mich dann überwacht?
Das könnte man so sehen, aber in der Pandemie ist der gesellschaftliche Nutzen größer, finde ich. Das Problem ist ja auch, dass die Daten heute vielleicht nur bei Clubhouse sind, aber morgen eventuell ganz woanders. In der Datenschutzerklärung von Clubhouse steht sehr trickreich formuliert, dass man die Daten zwar nicht verkauft, aber zwei Sätze weiter wird dann schon um die Sache rumgerudert in einer Art überspezifischem Dementi, um abzulenken von dem, was sie vorhaben: eine möglichst große Datenbasis von alles und jedem zu erstellen.
Clubhouse - "Dort sind auch die gespeichert, die sich nicht anmelden"
Wer sich aber dort anmeldet, tut es ja freiwillig. Man könnte sagen: gut, deren Problem?
Das Kritische ist aber, dass dort jede Menge Leute gespeichert sind, die gar nicht angemeldet sind und das gar nicht wollen. Denn bei Clubhouse erlaubt man Zugriff auf das Telefonbuch und damit sind die Daten aller gespeicherten Kontakte auch im Netzwerk. Man müsste also eigentlich von jedem Kontakt im Telefonbuch die Zustimmung einholen. Das ist bei Whatsapp dasselbe. Macht aber in der Praxis keiner. Das heißt, auf einem Firmenhandy hat Whatsapp oder Clubhouse schon mal gar nichts verloren, das geht datenschutztechnisch überhaupt nicht.
Warum ist Clubhouse, in das man ja nur per Einladung kommt, trotzdem so beliebt?
Clubhouse kommt natürlich genau zur richtigen Zeit. Es ist wie ein Knochen, den man ausgehungerten Influencern, die beispielsweise gerade nicht reisen können und daher wenig neue Themen haben, hingeworfen hat, und alle streiten sich darum und wollen ein Stück davon. Damit einhergeht die berühmte FOMO ("Fear of missing out"; Angst, etwas zu verpassen; d. Red.), sodass alle auf den Zug aufspringen. Auch Politiker wollen sich hier profilieren - jeder hat einen oder mehrere Social-Media-Berater, die alles versuchen, um sich bei einem jungen Publikum, bei dem die Schlacht um die nächste Bundestagswahl ja geschlagen wird, anzubiedern. Clubhouse ist also das Medium der Stunde und da muss man dabei sein.
Wie wird es mit Clubhouse weitergehen? Momentan können ja nur Apple-Nutzer etwas damit anfangen.
Das ist natürlich clever, das Ganze erstmal künstlich exklusiv zu halten, um Clubhouse spannend zu machen. Aber die Version für Android liegt längst in deren Schublade. Die Frage ist, wie lange ist es spannend und sexy. Im Augenblick kommt es aber gerade richtig durch die Pandemie, man kann nicht mehr am Kneipenstammtisch diskutieren, am Bartresen, in der Sportumkleide oder der Kaffeeküche im Büro, das fehlt alles. Für einen ungezwungenen Plausch mit Gleichgesinnten ist Clubhouse ein unglaublich attraktives Produkt. In der Praxis ist es aber doch so, dass die meisten Zuhörer bleiben und vier, fünf Leute das Gespräch bestimmen. Diejenigen, die den Raum veranstalten, wie das bei Clubhouse heißt, haben die Macht: Es gibt Leute auf dem Podium, die permanent sprechen können, und Leute, die zuhören können und nur nach einer Wortmeldung vielleicht etwas sagen dürfen.
Was, wenn man mal kurz vorbeischauen möchte, um mitreden zu können?
Wenn man Clubhouse nutzen will, sollte man nicht sein eigenes Adressbuch hochladen, sondern sich vorher umschauen, wer von den bekannten Kontakten schon drin ist - und grundsätzlich vorsichtig sein.
Das ist alles?
Wenn man es dann doch wieder deinstalliert, sind die Daten trotzdem weg. Man kriegt sie auch nicht wieder. Eine Handhabe gegen das Unternehmen darüber, was künftig mit den Daten passiert, habe ich auch nicht, im Gegensatz zu einem Unternehmen, das sich an den europäischen Datenschutz hält, denn dort könnte ich die Löschung der Daten verlangen. Das alles sollte man wissen- und wenn es einem das wert ist, kann man Clubhouse natürlich nutzen.
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