Exorzismus: Im Dunstkreis des Teufels

Vor fast 40 Jahren starb die junge Fränkin Anneliese Michel an Unterernährung. Vorher wurde 67 Mal der Exorzismus an ihr vollzogen. Jetzt wurde dieser Fall erstmals aufgearbeitet. 
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Vor fast 40 Jahren starb Anneliese Michel. Sie und ihre tief religiösen Eltern vermuteten, sie sei vom Teufel besessen. Diesen Fall hat Petra Ney-Hellmuth aufgearbeitet.
dpa / az-Kombo Vor fast 40 Jahren starb Anneliese Michel. Sie und ihre tief religiösen Eltern vermuteten, sie sei vom Teufel besessen. Diesen Fall hat Petra Ney-Hellmuth aufgearbeitet.

Vor fast 40 Jahren starb die junge Fränkin Anneliese Michel an Unterernährung. Vorher wurde 67 Mal der Exorzismus an ihr vollzogen. Jetzt wurde dieser Fall erstmals aufgearbeitet.

Würzburg Eine epilepsiekranke Studentin, tief religiös und felsenfest überzeugt, von Dämonen besessen zu sein. Eltern, die von Medizinern keine Hilfe erwarten. Und ein Bischof, der einen Exorzismus genehmigt, also eine Austreibung des Bösen mit Gebeten und Handauflegung. Am Ende ist die 23-jährige Anneliese Michel aus dem fränkischen Klingenberg tot. Als sie starb, wog sie nur noch 31 Kilogramm. Der Fall löste harsche Kritik an der katholischen Kirche und eine Debatte über Riten aus. Fast 40 Jahre später ist er erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet worden.

Bereits als Abiturientin, begann ihr Leidensweg. Sie bekam Krampfanfälle, tobte, zerriss Rosenkränze und sah „Fratzen“. Ärzte diagnostizieren Epilepsie. Später wurde in einem Gutachten von einer schweren Psychose gesprochen. Aber davon wollten sie und ihre tief religiösen Eltern nichts wissen.

Stattdessen suchte die Familie Zuflucht in einer religiösen Deutung dieser Symptome. Dafür zogen sie den Salvatorianerpriester Arnold Renz und der Pfarrer Ernst Alt zu Rate. Bis zu Annelieses Tod werden sie 67 Mal den Exorzismus an ihr vollziehen. In diesen Jahren verweigerte sie zunehmend das Essen. Sie stirbt schließlich an Unterernährung. Eltern und Priester wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Die Doktorarbeit der Würzburger Historikerin Petra Ney-Hellmuth zeigt, wie verschieden die Reaktionen ausfielen. Während Kirchenkritiker das Vorgehen als „mittelalterlich“ werteten, sahen traditionalistische katholische Kreise den Fall als Beleg für Besessenheit und die Realexistenz des Teufels. Sie instrumentalisierten ihn als Argument gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Noch heute kursieren die Tonbandaufnahmen der „dämonischen Botschaften“ aus dem Mund der Studentin im Internet. „Das spielt sich überwiegend in einer Art Suböffentlichkeit ab“, sagt Ney-Hellmuth. Sie stützt sich auf bislang gesperrte Akten des Würzburger Diözesanarchivs, darunter eine Pressedokumentation, interne Unterlagen sowie kritische Briefe an Bischof Josef Stangl. Außerdem wertete sie Unterlagen der Staatsanwaltschaft und Gerichtsakten aus.

Offen bleibt dabei die Frage nach der Verantwortung des damaligen Bischofs, der den Exorzismus genehmigte, aber nie selbst vor Ort war. „Die viel diskutierte Frage, ob Bischof Stangl sich nicht intensiver und initiativer um Verlauf, Erfolg oder Misserfolg des Exorzismus hätte kümmern müssen, ist auch heute nicht eindeutig zu beantworten“, sagt die Wissenschaftlerin.

Hintergrund der Debatten um die Teufelsaustreibung war auch das Ringen zwischen reformorientierten und konservativen Kräften der Kirche. Welchen Nachhall der Fall auch heute noch findet, zeigen nicht nur verschiedene Filme, sondern auch ein Kriminalfall aus dem vergangenenJahr. Als ein leerstehendes Klingenberger Sägewerk in Flammen aufging, stellten Boulevardmedien einen Zusammenhang her.

Schließlich brach das Feuer am 6.6.2013 aus – mit der Quersumme der Jahreszahl ergibt sich die Zahl 666, Chiffre des Teufels. Manche meinten gar, auf einem Foto einen Geist zu erkennen. Als Brandstifter wurde letztlich ein junger Feuerwehrmann gefasst. Auch Petra Ney-Hellmuth erlebte Ähnliches: „Kurz nach diesem Brand hatte ich einen Fachvortrag, bei dem 150 Leute waren, von denen einige von mir wissen wollten, ob es den Teufel gibt.“

 

 

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