Es dreht sich was im Schnee

Weniger Snowboarder, mehr Freestyler. Auf den Pisten etabliert sich ein neuer Trend. Einfach nur den Berg runter fahren ist langweilig. Vorwärts, rückwärts, seitwärts über Rails und Kicker ist angesagt
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Johannes Drexl beim "Cork 900"
Mike Schmalz Johannes Drexl beim "Cork 900"

Weniger Snowboarder, mehr Freestyler. Auf den Pisten etabliert sich ein neuer Trend. Einfach nur den Berg runter fahren ist langweilig. Vorwärts, rückwärts, seitwärts über Rails und Kicker ist angesagt

Am liebsten überschlägt sich Johannes Drexl gleich doppelt: „Double Black Flip“, ein doppelter Rückwärts-Salto, zählt zu den Spezialitäten des 18-Jährigen. Aber auch der „Cork 900“, ein seitwärts Salto mit halber Drehung, oder der „Flatspin 540“, eine zweieinhalbfache Drehung um die eigene Körperachse, gehören zum Repertoire des Landsbergers: „Immer vorausgesetzt, der Kicker ist groß genug.“

Es ist eine merkwürdige Sprache, die Drexl spricht. Aber es sind vor allem auch ungewöhnliche Skier, die er trägt. Nicht nur vorne, sondern auch hinten sind seine „Twintips“ nach oben gebogen und ermöglichen es dem Slopestyler so, auch rückwärts über Schanzen zu fahren oder gegen die Fahrtrichtung zu landen. „Früher“, erzählt Drexl, „bin ich auch mal Ski gefahren“. Bis ins Nachwuchsteam des Deutschen Ski-Verbandes hat er es zwischenzeitlich sogar geschafft. Doch dann war ihm das alles zu langweilig. „Beim Slopestyle ist einfach mehr Aktion drin.“

So denken derzeit viele. Die Trendsportart Slopestyle hat unter Jugendlichen die Skier wieder populär gemacht. Um 20 Prozent ist der Verkauf von „Twintips“ allein beim Münchner Sport-Geschäft Sport Scheck in diesem Winter nach oben geschossen. Dagegen verzeichnet die Branche mit klassischen Alpinski und Snowboards deutliche Umsatzeinbrüche. Der Verkauf von Alpinski hat sich seit 2002 auf 350000 Paar halbiert. Snowboards werden nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Sportartikel-Industrie nur noch zwischen 60 000 und 80 000 Stück pro Jahr abgesetzt.

Auf Skiern kommt man weiter und höher

Natürlich haben das längst auch die großen Skifirmen erkannt. Das US–Unternehmen K2 ist bereits vor ein paar Jahren komplett aus dem alpinen Skizirkus ausgeschieden und produziert nun für den Freestyle-Markt: „Der Kunde sucht längst nicht mehr nach Rennmaschinen für die perfekte Piste, die es im Alltag ohnehin nicht gibt“, erklärt Marketing-Managerin Andrea Tiling.

Stattdessen geht’s um die ganz große Freiheit auf der Piste: „Nur runterfahren will heute kaum noch einer“, hat Thomas Wacht festgestellt. Der Leiter der Atomic Freestyle Academie trainiert viele Jugendliche, die früher begeistert Snowboard gefahren sind, jetzt aber auf „Twintips“ durch die Luft fliegen: „Bestimmte Sprünge sind mit dem Snowboard einfach nicht drin“, erklärt er, „auf Skiern kommt man viel weiter und höher.“

Der Wandel auf dem Ski-Markt trifft vor allem die Alpin-Boarder hart. Noch Anfang der 90er Jahre sorgten die Carver mit ihren Race-Boards und harten Schuhen für die horrenden Wachstumsraten auf dem Snowboard-Markt. Mittlerweile macht der Anteil von Race-Boards nur noch rund 3 Prozent aus. Längst mehren sich beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) deshalb die Stimmen, die Race-Boarder aus dem olympischen Programm verdrängen wollen. Viele Länder würden stattdessen lieber zusätzliche Freestyle-Disziplinen wie Big Air oder eben Slopestyle sehen. Zumindest bis zu den Spielen in Sotschi im Jahr 2014 soll aber alles beim Alten bleiben.

"Wer sofort auf die Piste geht, ist wahnsinnig"

Ohnehin müssen sich die Liftbetreiber erst auf die veränderten Bedürfnisse der Wintersport-Fans einstellen. Von den mehreren Hundert Skigebieten im deutschsprachigen Alpenraum hat derzeit nur etwa jedes fünfte einen Funpark: „Natürlich können Skifahrer am Spitzingsee, Sudelfeld oder auf einigen Anlagen im Allgäu mal schauen, wie Freestyle geht“, sagt Wacht, „weiterentwickeln können sie sich dort aber nicht“. Lediglich in Ehrwald gäbe es derzeit einen Funpark, der neben Beginner-Jumps auch Banked Turns und Railslides bietet – also alles, was Slopestyler brauchen.

Auch Drexl trainiert dort. Bevor er auf der Piste jedoch das erste Mal abhob, musste er sich erstmal auf der Wasserschanze versuchen und auf dem Trampolin und Sprungbrett am Freibad das nötige Fluggefühl bekommen: „Wer sofort auf die Piste geht, ist wahnsinnig“, sagt er.

Und noch eines stellt Drexl klar: „Ohne Helm und Rückenpanzer geht gar nichts!“ Sicherheit geht eben vor. Auch beim Slopestyle.

Daniel Aschoff

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