Entnazifizierung des Alphabets: Schluss mit Nordpol und Zeppelin!

Beim Buchstabieren schwingt bis heute das Erbe der Nazis mit. Deshalb werden jetzt die offiziellen Vorgaben überarbeitet. Ab 2022 sollen Städte Begriffe und Vornamen ersetzen.
Dominik Petzold |
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"Z" wie Zeppelin: Gerade beim Buchstabieren am Telefon werden Begriffe, die 1934 als Buchstabierhilfen eingeführt wurden verwendet.
"Z" wie Zeppelin: Gerade beim Buchstabieren am Telefon werden Begriffe, die 1934 als Buchstabierhilfen eingeführt wurden verwendet. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Wahrscheinlich buchstabieren Sie auch meistens so: "D" wie Dora, "N" wie Nordpol, "S" wie Siegfried, "Z" wie Zeppelin. Die wenigsten sind sich bewusst: Das ist ein Erbe der Nationalsozialisten. Das Regime führte diese Begriffe 1934 als Buchstabierhilfen ein. Und sie hielten sich bis heute, teils im Volksmund, teils sogar offiziell in der Buchstabiertafel.

"D" wie David: Keine Missverständnisse am Telefon

Erstmals wurde eine solche Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt, um etwa Missverständnisse am Telefon zu vermeiden. Einige Buchstaben wurden mit jüdischen Vornamen verbunden, üblicherweise buchstabierte man damals "D" wie David, "N" wie Nathan, "S" wie Samuel und "Z" wie Zacharias. Die Tafel galt offiziell auch noch während des Jahres der Machtübernahme der Nazis, 1933. Wer die Abkürzung NSDAP nach den offiziellen Vorgaben buchstabieren wollte, hätte also folgendermaßen beginnen müssen: Nathan, Samuel, David ...

1934 wurde die Buchstabiertafel dem rassistisch-ideologischen Wahn angepasst, die jüdischen Vornamen wurden gestrichen. Manch andere Änderung ist erstaunlich treffend: "Ä" wurde nicht mehr mit Änderung, sondern mit Ärger buchstabiert, "Ü" mit Übel.

Noch heute bleiben viele Nazi-Änderungen bestehen

Viele Änderungen wirken bis heute. Nach dem Krieg wurde die Buchstabentafel zwar wieder überarbeitet, doch die meisten gestrichenen jüdischen Namen wurden nicht wieder aufgenommen. Und manche Nazi-Änderungen blieben bis heute unangetastet: So sind "Dora" (statt David) und "Nordpol" die gültigen Begriffe der DIN-Norm 5009, in der seit 1983 die Buchstabiertabelle festgelegt ist. Im Volksmund blieben außerdem "Siegfried" und "Zeppelin" gebräuchlich, obwohl die DIN-Norm wieder "Samuel" und "Zacharias" vorgibt.

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Jetzt, 75 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur, wird die deutsche Buchstabiertafel endgültig entnazifiziert. Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, hatte das Ende vergangenen Jahres angeregt. Er hat das zuständige Deutsche Institut für Normung, kurz DIN, kontaktiert und auf die problematische Geschichte der Buchstabiertafel aufmerksam gemacht hat. Daraufhin beschloss das Institut, diese zu überarbeiten.

Neue Buchstabiertafel soll ab Mitte 2022 gelten

Gerade erstellen 15 Experten einen neuen Normentwurf, sie kommen aus Bereichen wie Bildung, Ausbildung, Versicherungswirtschaft und Postunternehmen. Auch Michael Blume sitzt in dem Ausschuss. Dessen Entwurf steht ab kommendem Herbst zur öffentlichen Diskussion. Dann entsteht die finale neue Buchstabiertafel, die ab Mitte 2022 gelten soll.

Fest steht schon jetzt: Statt Vornamen werden vorwiegend Städtenamen verwendet. Denn sonst stünden neue Probleme ins Haus. "Mit Vornamen ist es sehr schwierig, die kulturelle Vielfalt der deutschen Bevölkerung abzubilden", sagt Julian Pinnig, der Sprecher des Deutschen Instituts für Normung. Das kann man nachvollziehen: Mit Namen wie Maximilian, Michael und Matthias würde die heutige Diversität der Gesellschaft tatsächlich nicht erfasst. Zugleich steht zu befürchten, dass sich Mehmet, Mike und Mohammed nicht durchsetzen würden. Vermutlich werden sich auch Städte in der neuen Buchstabiertafel übergangen fühlen. Aber sie können sich immerhin darüber beschweren, wenn die Norm ab kommendem Herbst zur Diskussion steht.

Begriffe müssen sich über langen Zeitraum etablieren

Parallel dazu wird auch die Buchstabiertafel der Weimarer Zeit mit allen jüdischen Namen wieder veröffentlicht. So soll auf die schwierige Geschichte der Buchstabiertafel aufmerksam gemacht werden, so Pinnig, vor allem auf die Streichung der jüdischen Namen. Diese Geste kommt im Jubiläumsjahr 2021 gerade passend: Da leben Jüdinnen und Juden seit nachweislich 1.700 Jahren im Gebiet des heutigen Deutschlands.

Ob sich die neue Buchstabiertafel durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Dessen ist man sich natürlich auch beim Deutschen Institut für Normung bewusst. Jeder kann seinen Namen schließlich buchstabieren, wie er will, niemand guckt davor in eine DIN-Norm. Die entsprechenden Begriffe etablieren sich bestenfalls über einen langen Zeitraum. Immerhin wird die Buchstabiertafel in manchen kaufmännischen Ausbildungen eingesetzt, so Pinnig.

Schön wäre immerhin, wenn beim Buchstabieren der Nordpol keine Rolle mehr spielen würde. Denn der erinnert besonders offensichtlich an die Nazis und ihre Begeisterung für das Nordische. In Österreich haben sich übrigens sogar noch mehr Nazi-Änderungen bis heute offiziell gehalten. Da buchstabiert man "Ü" noch immer mit "Übel". In Deutschland hat sich bis heute in der Buchstabiertafel ein Gefühlszustand gehalten: "Ärger".

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30 Kommentare
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  • Michael Broda am 06.12.2020 19:10 Uhr / Bewertung:

    Wer sich ernsthaft mit der Thematik beschäftigen möchte, liest bitte den Abschnitt "S wie Siegfried" im Buch "Verbrannte Wörter - wo wir noch reden die Nazis und wo nicht" von Matthias Heine, erschienen 2019 im Dudenverlag. Der Artikel hier verschweigt, dass das Buchstabieralphabet erst seit 1983, als das "Phonodiktat" in Mode kam, in DIN 5009 dokumentiert ist. Bereits 1948 wurde das zu der Zeit in den Telefonbüchern abgedruckte Alphabet von 1934 "teil-entnazifiziert" und von "Siegfried/Zeppelin" nach "Samuel/Zacharias" zurückgedreht, was sich aber selbst nach 70 Jahren im Telefonbuch und fast 40 Jahren in der Norm nicht durchgesetzt hat. Auch eine erneute Reform wird hieran sicherlich nichts ändern. Wollte man die "Entnazifizierung" abschließen, wären allein noch "Dora" und "Nordpol" nach "David" und "Nathan" zurückzudrehen. Der Norm-Entwurf wird auf den Seiten von DIN für die Öffentlichkeit kommentierbar sein. Ich werde es auf jeden Fall tun, wenn dieser vorliegt - wer noch?

  • am 06.12.2020 17:28 Uhr / Bewertung:

    Also, ich bin auch dafür, dass man in der deutschen Sprache mal ordentlich aufräumt. Vor allem sollten die geschlechtlich männlich und weiblichen Substantive an die jeweilige Situation angepasst werden.
    'Frau X kannte nur Spott und Häme' sollte dann lauten:
    'Frau X kannte nur Spöttin und Hämin'

  • Dr. Schönfärber am 06.12.2020 14:56 Uhr / Bewertung:

    Während wir uns um den Blödsinn kümmern, überholen uns andere Länder links und rechts. Dabei schauen diese auf den Deppen Deutsch-Michel herab und lachen uns noch aus.
    Und recht haben Sie!

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