Energiekrise hält die Lebensmittelpreise weiterhin hoch – wie der Lebensmittehandel daraus Profit schlägt
München - Honig, Brot, Fleisch, Gemüse – überall muss man draufzahlen. Das ist seit Russlands Angriff auf die Ukraine so. Und dieser Trend setzt sich weiter fort.
Grund für die weiter ansteigenden Lebensmittelpreise: Die Energiekosten
Nahrungsmittel hatten im September 2023 eine 7,5-prozentige Inflation im Vergleich zu September 2022. Das heißt, im Durchschnitt waren die Preise um 7,5 Prozent höher als noch im September 2022. Dabei lag die Inflationsrate bei den Verbraucherpreisen im September 2023 nur bei 4,5 Prozent. Der Preisanstieg insgesamt flacht also ab, bloß nicht bei den Lebensmitteln. Woran liegt das?
Bernd Ohlmann, Pressesprecher vom Handelsverband Bayern (HBE), erklärt der AZ: "In der Breite muss man sagen, dass das an den Energiekosten liegt. Der Lebensmitteleinzelhandel hat dramatische Energiekosten. Denken Sie nur an die Kühlschränke, Gefriertruhen und alles. Die Kühltruhen müssen rund um die Uhr laufen. Da kann man nicht sparen."
Durch Langzeitverträge konnten Produzenten die Preise erst verzögert erhöhen
Auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), schreibt den Energiekosten eine große Rolle zu: "Die Energie- und Gaskrise des vergangenen Jahres hat die Kosten der Landwirte und Nahrungsmittelproduzenten im Vergleich zu anderen Branchen besonders stark ansteigen lassen." Ausschlaggebend seien etwa hohe Preise von Treibstoff und Düngemittel. Weiter sagt er der AZ: "Die Produzenten konnten die gestiegenen Kosten aufgrund laufender Verträge jedoch erst mit einer gewissen Verzögerung weitergeben. Beim Verbraucher kommen diese Kostenanstiege deshalb zeitversetzt an."
Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsmitglied vom Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) unterstreicht diesen Zeitverzug bei den Energiepreisen im Gespräch mit der AZ: Manche schließen sehr kurzfristige Verträge ab, andere haben langfristige Festverträge, wo die Preise sich erst nach Vertragsende schlagartig erhöhen können.
Die Preise werden nicht wieder sinken
Insgesamt stiegen die Energiepreise dem Bundesamt für Statistik zufolge im September nur noch um ein Prozent gegenüber dem Niveau des Vorjahresmonats. Allerdings muss hier auch der sogenannte Basiseffekt beachtet werden: Die starken Preiserhöhungen im Vorjahr sorgen dafür, dass der Preisauftrieb im Vergleich so viel geringer ausfällt.
Zur weiteren Entwicklung der Energiepreise sagt Fischer: "Da erwarte ich jetzt keine heftigen Preisausschläge nach oben. Das wird hoffentlich im Rahmen bleiben, aber ich sehe auch nicht, dass wir starke Preisrückgänge haben werden." Wenngleich eine echte Prognose letztendlich nicht möglich sei aufgrund des unterschiedlichen Zeitverzugs bei den Verträgen der Kunden und den weiterhin hochvolatilen Energiemärkten. Er weist aber auch darauf hin: "Alle Preisanpassungen auf die Energiepreise schieben, springt ein bisschen kurz. Da macht es sich mancher auch ein bisschen einfach."
Die Lkw-Maut wird die Inflation zusätzlich anheizen
Neben den Energiekosten spielen laut Ohlmann vom Handelsverband Bayern auch noch folgende Faktoren eine Rolle: "Die Lkw-Maut wird erhöht. Die Speditionen, die die Güter für uns transportieren, müssen dadurch mehr zahlen. Das wird durchgereicht." Weiter sagt er: "Produzenten haben höhere Futtermittel- und Personalkosten." Auch vbw-Chef Brossardt sieht darin einen Kostentreiber: Die spätestens seit Ende 2022 gestiegenen Arbeitskosten im Lebensmitteleinzelhandel durch "kräftige Lohnzuwächse" wirkten sich auf die Lebensmittelpreise aus.
Hubert Thiermeyer, Landesfachbereitsleitung Einzelhandel bei Verdi Bayern, widerspricht: "In 2023 gibt es immer noch keinen Tarifabschluss und keine Erhöhungen. Hier die Entgelte als mögliche Ursache für gestiegene Preise zu nennen, ist schon fast zynisch." Auch mit dem Instrument der Inflationsausgleichsprämien seien die Handelskonzerne "extrem zurückhaltend" gewesen, sagt Thiermeyer der AZ.
Der Lebensmittelhandel schreibt rote Zahlen
Der Lebensmittelmarkt ist in Deutschland hart umkämpft. Was auch dazu beiträgt, dass die Lebensmittelpreise hierzulande im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der Deutschen laut einer Eurostat-Erhebung aus 2022 unter dem EU-Durchschnitt liegen. Aber zugleich dafür sorgt, dass der Lebensmitteleinzelhandel eine schwierige Zeit hat: "Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals im bayerischen Lebensmittelhandel so viele Monate hintereinander rote Zahlen gesehen zu haben", so Ohlmann. Nominal hat der Lebensmitteleinzelhandel zwar ein Umsatzplus, aber real (also inflationsbereinigt) war er zuletzt im Minus, wie die Reporte des Landesamts für Statistik zeigen.
Lebensmittelhandel steigert Profitmargen
In der Wirtschaftswissenschaft ist zuletzt auch die These aufgestellt worden, dass eine Krise die sogenannte "Verkäuferinflation" antreiben kann. Das heißt: Ein Preisschock, wie durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst, kann bei Verbrauchern die Akzeptanz erhöhen, dass sich Güter verteuern. Diese durch den Schock geschaffene Akzeptanz wird zum Anlass genommen, die Preise stärker zu erhöhen als die Kosten, um die Profitmargen zu steigern.
"Der Gewinn soll mehr werden. Die Marge zu erhöhen, wird immer versucht in Krisen, wenn's irgendwo möglich ist, weil natürlich dann, wenn wieder keine Krise ist und der Marktdruck größer wird, die Margen wieder von alleine aufgefressen werden", sagt VBEW-Geschäftsführer Fischer.
Zur Gestaltung der Gewinnmargen und zu den größten Faktoren für die Preisanstiege wollten sich die Supermärkte und Discounter auf Anfrage der AZ nicht äußern.
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