Einsamer Tod eines Handelsreisenden

In einem Wald in Niedersachsen hat sich ein arbeitsloser Mann zu Tode gehungert. Jäger fanden neben der schon mumifizierten Leiche ein Tagebuch. Der Mann hat es seiner Tochter vermacht - als Dokument eines tragischen Schicksals.
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Auf dieser Matratze fanden die Polizisten die mumifizierte Leiche.
Dumnitz/zjs Auf dieser Matratze fanden die Polizisten die mumifizierte Leiche.

In einem Wald in Niedersachsen hat sich ein arbeitsloser Mann zu Tode gehungert. Jäger fanden neben der schon mumifizierten Leiche ein Tagebuch. Der Mann hat es seiner Tochter vermacht - als Dokument eines tragischen Schicksals.

Er war einsam, arm, verzweifelt. Ein 58-jähriger Mann hat sich auf einem Hochsitz in Niedersachsen zu Tode gehungert. Jagdpächter entdeckten die mumifizierte Leiche in einem Waldstück in Solling, als sie die morsche Leiter des Aussichtspostens ersetzen wollten. Neben dem Toten lag sein Tagebuch.

Tod auf Raten

In dem kleinen Heft mit blauem Schutzumschlag beschreibt der Mann aus Hannover seinen Tod auf Raten. 24 Tage dauerte sein Dahinsiechen. Nur ein bisschen Wasser gönnte er sich, und das nur an manchen Tagen. Er schrieb von Schmerzen, spürte wie seine Organe nach und nach aufhörten zu arbeiten. „In dem Buch steht, dass ihm immer wieder die Galle hochkam“, sagte ein Augenzeuge der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung“ (HNA).

Schnell wird den Polizisten und Feuerwehrleuten am Tatort klar: Der 58-Jährige wollte sterben. „Der Text machte nicht den Eindruck, als wäre er ein Spinner gewesen“, sagte der Informant. Sein langsames Sterben sei eher eine Anklage gewesen: Die Ehe des Hannoveraners ging nach vielen Jahren kaputt, die erwachsene Tochter wollte nach der Scheidung nichts mehr mit ihm zu tun haben. Einen Job hatte der ehemalige Handelsreisende schon seit Jahren nicht mehr.

Antrag auf Hartz IV abgelehnt

Sein Antrag auf Hartz IV wurde nach Informationen der HNA von den Behörden abgelehnt, seit Oktober 2007 bekam er offenbar keine Unterstützung mehr vom Staat.

Da packte ihn die Wut. Wut auf die Familie, die ihn im Stich ließ. Wut auf die Gesellschaft, die für ihn keinen Platz hatte. Schließlich setzte er sich auf sein Radl und fuhr los. Erst ziellos, dann immer mehr Richtung Wald.

Ein Unterschlupf zum Sterben

In einem windgeschützten Hochsitz, an einer idyllisch gelegenen Lichtung fand der Arbeitslose einen Unterschlupf zum Sterben. Auf einer schäbigen Matratze aus bloßem Schaumstoff, notdürftig mit ein paar Decken zugedeckt, verharrte er die letzten Tage in dem Hochstand, schrieb in sein Tagebuch – bis nach über drei Wochen sein Herz stehen blieb. Er starb auf dem Rücken liegend, der Körper eingefallen, die Hände über dem Kopf.

Die Leiche soll nun bestattet werden. Einen Mord schließen Ermittler aus. Was von dem Mann bleibt, ist das kleine Tagebuch. Der letzte Eintrag ist auf den 13. Dezember 2007 datiert, auf der Seite lag ein Zettel: „Nach meinem Tode ist das Heft an meine Tochter zu übergeben.“

Anne Kathrin Koophamel

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