Drama vor Libyen: Hunderte von Flüchtlingen ertrunken
Zahlreiche Afrikaner hatten sich in völlig überfüllten Booten und bei schwerer See auf den Weg nach Italien gemacht. Warum es die verzweifelten Menschen immer wieder versuchen
TRIPOLIS/ROM Sie wissen, wie riskant es ist. Sie wissen, dass viele von ihnen, die es vorher versucht haben, nicht mehr am Leben sind. Trotzdem sind jährlich zehntausende von Afrikanern so verzweifelt, dass sie eine halsbrecherische Flucht wagen: Von ihrem Kontinent nach Europa, in alles anderen als seetüchtigen, meist hoffnungslos überfüllten Booten. Jetzt haben wieder Hunderte von ihnen dieses Risiko mit dem Leben bezahlt.
Noch weiß niemand genau, welche Tragödie sich vor der libyschen Küste abgespielt hat. Sicher ist, das am Wochenende wahrscheinlich vier Booten mit jeweils mehr als 300 Flüchtlingen libysche Häfen verlassen hatten. Mindestens ein Boot setzte Stunden später, in schwerer See, einen Notruf ab. Es wurde mit 350 völlig erschöpften Afrikanern und Ägyptern an Bord, in den Hafen der Hauptstadt Tripolis geschleppt.
Sicher ist, dass in diesem Seegebiet, das Wrack eines gekenterten Bootes entdeckt und 23 Leichen geborgen wurde. 21 Menschen konnten noch gerettet werden. Von den anderen Booten fehlt jede Spur, so dass möglicherweise mindestens 500 Menschen bei der Tragödie ums Leben gekommen sind.
Dass sich jetzt fast gleichzeitig eine so große Zahl von Flüchtlingen auf den Weg machte, könnte damit zusammenhängen, dass die italienische Regierung verkündet hat, ab dem 15. Mai die illegale Ausreise aus Libyen zu unterbinden.
Bis dahin würden Patrouillen aus beiden Ländern die Küstengewässer kontrollieren. In einem „Freundschaftsabkommen“ zwischen Rom und Tripolis sicherte das afrikanische Land im vergangenen Jahr zu, seinen Kampf gegen die illegale Einwanderung nach Italien zu verstärken.
Denn allein 2008 kamen rund 33000 Flüchtlinge von Nordafrika auf die süditalienische Insel Lampedusa. Tausende Flüchtlinge machen sich zudem jährlich in oftmals überfüllten Booten von Afrika aus auf den Weg über das Mittelmeer in andere europäische Länder. Libyen ist ein häufiger Startpunkt - hier leben bis zu eineinhalb Millionen Afrikaner als illegale Einwanderer. Die meisten von ihnen kommen aus Mali, Burkina Faso, Ghana, Niger, Nigeria, Somalia und der Elfenbeinküste.
Auch nach der Tragödie vom Wochenende hielt der Strom unvermindert an. Mehr als 400 Migranten landeten gestern an italienischen Küsten. Und die Zahlen werden sich noch erhöhen.
Das befürchtet als Folge der Wirtschaftskrise EU-Kommissionssprecher Michele Cercone. Die EU versuche, dem mit strengeren Kontrollen durch ihre Grenzschutzagentur Frontex vorzubeugen. Man wolle das Ablegen der Boote möglichst verhindern. Der Erfolg ist aber ungewiss: „Es gibt keine Wunderlösungen“, sagte Cercone.mh
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