Digitale Nomaden: Arbeiten im Paradies als Lifestyle – doch was ist mit Steuern und Rente?

Tobias Herbig aus Oberbayern lebt dort, wo andere Urlaub machen: Im thailändischen Koh Phangan. Doch es gibt auch Schattenseiten im Leben eines Digitalen Nomaden.
Tobias Lill,
Martina Scheffler
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Einer der legendären Traumstrände von Koh Phangan.
Einer der legendären Traumstrände von Koh Phangan. © imago

Der Tag im Paradies beginnt für Tobias Herbig oft mit einem Blick von der Terrasse. Dann schaut der 46-Jährige auf eine große Wiese. Sie ist an mehreren Seiten von Dschungel umgeben und in ihrer Mitte steht ein uralter Mangobaum. "Du lebst mit der Natur", sagt Herbig. Exotische Vögel zwitschern, meistens scheint die Sonne.

Und nur zehn Minuten entfernt lockt einer von Koh Phangans unvergesslichen Stränden. Für diese ist die thailändische Insel ebenso bekannt wie für die legendäre "Full Moon"-Party, bei der Tausende Techno- und Goafans aus der ganzen Welt auf das Eiland strömen.

Das Leben als Digitaler Nomade: An Entspannung ist gerade nicht zu denken

Ansonsten geht es dort eher beschaulich zu. Auch an diesem Tag im August hält Herbig allzu große Hektik von sich fern. Doch Baden gehen oder einfach nur in der Hängematte unter einer Palme liegen kommt für den gebürtigen Dachauer, der seit zwei Jahren fest auf der Insel lebt, gerade nicht in Frage.

Denn der Deutsche hat alle Hände voll zu tun. Ein Tropensturm ist einige Tage zuvor über sein Haus und die von ihm und einer Freundin betriebene Zirkusschule gefegt. Ein Baum ist umgestürzt. "Die Stromleitung ist abgerissen und das Haus des Nachbarn ist verkratzt."

Hat eine Zirkusschule eröffnet: Tobias Herbig.
Hat eine Zirkusschule eröffnet: Tobias Herbig. © privat

"Das sind die Schattenseiten des Lebens auf einer so tollen Insel, die es natürlich auch gibt", sagt er. Denn anders als in Deutschland hat in Thailand kaum jemand eine Haftpflicht- oder Hausratversicherung – auch Herbig nicht.

"Das zahlt man aus eigener Tasche", so der Deutsche, der in Gröbenzell bei München aufgewachsen ist. "Das ist Teil des Gesamtpakets, wenn man auswandert." Für ihn stellt sich jetzt die Frage: "Wie beseitige ich den Baum?" In Bayern würde wohl die Feuerwehr helfen. "Hier musst du das selbst organisieren."

Vor Thailand lebte Tobias Herbig lange Zeit in Singapur

Herbig ist kein naiver Träumer. Kein Hippie oder einer dieser RTL-Protagonisten, die mit ein paar Tausend Euro in der Tasche nach Südostasien auswandern und dann ein paar Monate später wie ein geprügelter Hund pleite zurückkehren. Er hat seinen Plan gründlich durchdacht. "Ich habe versucht, das Risiko zu minimieren", sagt er. Sein Herz schlägt schon lange für Südostasien. 2007 ging der studierte Wirtschaftsingenieur nach Singapur.

Dort war er viele Jahre als Führungskraft im Logistikbereich bei einem Ableger eines großen deutschen Tech-Konzerns – als sogenannter Expat – beschäftigt. Herbig, der sich auch aufs Programmieren versteht, arbeitete zwar vor Ort, zahlte aber in die deutschen Sozialkassen ein und Steuern an den deutschen Fiskus.

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Seit Herbig 2021 fest nach Thailand zog, ist er nicht nur Betreiber der Zirkusschule, sondern auch weiterhin bei einem deutschen Unternehmen beschäftigt – allerdings nur mehr als Midijobber. "Ich kontrolliere Finanzmodelle", sagt er. Ein Vorteil seines persönlichen Lebensmodells: "Alles, was ich zum Arbeiten brauche, sind ein Laptop und ein funktionierendes Wlan." Von beidem gibt es in Thailand reichlich.

Die Schönheit Kho Phangans begeisterte ihn schon lange

Den Traum, im Ausland bequem vom Strand oder der Terrasse für eine deutsche Firma zu arbeiten, erfüllen sich insbesondere junge Menschen immer wieder. Es gilt für Digitale Nomaden aber rechtliche Fallstricke zu beachten. Bereits in seiner Zeit in Singapur reiste Herbig viel in der Region. Die eigentlich geplante Rückkehr nach Deutschland habe sich ein ums andere Mal verzögert.

Denn früh entdeckte er die Schönheit und Vielfältigkeit von Koh Phangan. "Man kann hier alles an einem Tag machen: erst im Dschungel wandern, dann im Wasserfall planschen – und am Ende den Sonnenuntergang am Strand genießen." Er schwärmt von leckerem Essen, tollen Massagen, Yoga und vielen Kulturveranstaltungen. 2016 kaufte er schließlich ein Grundstück und baute sein Traumhaus, das eine Mischung aus Zirkusschule, Werkstatt und Pension ist. Bis 2021 blieb sein Lebensmittelpunkt allerdings in Singapur.

Ein Deutscher in Thailand: "Jetzt brauche ich nur noch Geld zum Essen"

Herbig ist extrem sportlich und artistisch begabt, beschäftigt aber natürlich auch geschultes Personal. Neben jenen, die in der Schule namens Labracadabra Zirkusfertigkeiten erlernen oder gar Artisten werden wollten, würden auch viele Touristen hier absteigen, die einfach nur die Insel genießen wollen. "Noch erzielt das Projekt keine Gewinne, doch die Umsätze wachsen."

Doch der Midijob reicht für den Lebensunterhalt. "Die großen Kosten waren Grundstück und Haus, jetzt brauche ich nur noch Geld zum Essen", sagt Herbig. Er ist glücklich über die getroffene Entscheidung, dauerhaft auszuwandern. Natürlich gibt es auch jene Tage, an denen er seine Entscheidung ein wenig bereut – etwa, wenn er Stunden mit Google Translate verbringt, um Dokumente zu übersetzen. "Zudem gibt es auf der Insel Moskitos, Termiten, giftige Hundertfüßer, Quallen und auch Schlangen", erzählt er.

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Trotz allem Positiven: Mit Kindern würde Tobias Herbig nicht auf der Insel leben

Labracadabra sei auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. "Wir haben ein detailliertes Müll-Vermeidungs- und Recycling-System spezifisch für die Insel entwickelt." Wenn seine Partnerin und er Kinder hätten, würde er wohl nicht auf Koh Phangan leben – zu weit sind Schule und Kinderarzt oder -klinik entfernt. Auch sei die Mentalität der Menschen hier eine andere. "Die Leute sind zwar meist freundlich", sagt der Bayer. Man müsse sich aber daran gewöhnen, dass Kritik hier in der Regel nicht offen geäußert und Fehler nicht eingestanden würden.

Noch vor etwas anderem warnt er jene, die es ihm gleichtun wollen. "Du hast hier als Ausländer nicht dieselben Rechte wie die Einheimischen. Das fängt damit an, dass du kein Land alleine kaufen darfst." Man benötige Thais, denen man vertrauen muss.

Seine Empfehlung: Immer mehrere Optionen haben

Zum Glück hat Herbig über die Jahre gute Freunde vor Ort gefunden. "Der Kauf lief fast reibungslos." Aber es gibt auch Fälle, in denen Ausländer um Haus und Hof gebracht werden. Gerade in der Anfangszeit sei es wichtig, einen guten Anwalt zu kennen. Eine weitere Empfehlung hat Herbig: "Lasst niemals die Brücke ins Heimatland ganz abreißen." Einmal im Jahr besucht er Familie und Freunde im Großraum München. "Und ich zahle bis heute in die deutsche Rentenkasse ein."

Als Expat in Singapur und Angestellter in Deutschland hatte er solche Summen einbezahlt, dass er im Alter die Möglichkeit hätte, nach Bayern zurückzukehren, ohne zum Sozialfall zu werden. "Man weiß nie, was die Zukunft bringt. Es ist immer besser, sich viele Optionen offenzulassen."


Völlig frei und ungebunden – das ist auch der nicht, der von der Hängematte im sonnigen Süden aus arbeitet. Einer der häufigsten Fehler, die Digitale Nomaden im Bereich Versicherungen machen, sei, sich nur unzureichend zu informieren, sagt Robin Lerch, auf Digitale Nomaden spezialisierter Versicherungsmakler, selbst Digitaler Nomade und Partner des Versicherers Hiscox, der AZ.

Bei Versicherungen immer auf genaue Konditionen achten, rät der Experte

"Gerade internationale Krankenversicherungen sind sehr komplexe Versicherungsprodukte. Eine internationale Krankenversicherung gilt nämlich nicht – wie viele denken – pauschal weltweit, sondern läuft auch oft über sogenannte Zonenmodelle, die bei jedem Versicherer wiederum anders sind. Auch sind diese Versicherungen sehr individualisierbar, was viele Vorteile hat, aber bei unzureichendem Verständnis auch Gefahren birgt."

Robin Lerch, auf Digitale Nomaden spezialisierter Versicherungsmakler, selbst Digitaler Nomade und Partner des Versicherers Hiscox.
Robin Lerch, auf Digitale Nomaden spezialisierter Versicherungsmakler, selbst Digitaler Nomade und Partner des Versicherers Hiscox. © privat

Man solle auch nicht einfach nur auf die Erfahrungsberichte anderer Nomaden setzen, rät Lerch. "Die passende Krankenversicherung hängt beispielsweise maßgebend von dem angestrebten Lifestyle, Einstiegsalter, Vorerkrankungen, Reiseplan, Vorlieben und Reisekonstellation ab."

Eine pauschale Lösung für alle gebe es nicht. Aber: Anbieter aus den USA oder Großbritannien sind Lerch zufolge "aus Verbrauchersicht deutlich weniger zu empfehlen als europäische Krankenversicherungsanbieter".

Mit einigen Staaten hat Deutschland spezielle Abkommen

Lerchs Rat: unbedingt eine internationale Krankenversicherung und eine internationale Privathaftpflichtversicherung abschließen. "Wer mit Camper oder Wohnmobil reist, benötigt natürlich noch eine KFZ-Versicherung. Versicherungsprodukte wie Unfallversicherung oder Rechtsschutzversicherung gibt es zwar auch für den internationalen Lifestyle", sagt Lerch. Diese seien aber optional und nur für wenige Digitale Nomaden wirklich empfehlenswert.

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Die Rente ist einem auch im Ausland sicher – "wenn Sie nur vorübergehend für Ihren deutschen Arbeitgeber im vertragslosen Ausland arbeiten und auch weiterhin von ihm bezahlt werden", gibt die Deutsche Rentenversicherung an. Vertragsloses Ausland, das beinhaltet alle Staaten außer den EU-Mitgliedern, Island, Liechtenstein, Schweiz und Norwegen.

Mit 21 weiteren Staaten hat die Bundesrepublik außerdem zweiseitige Sozialversicherungsabkommen geschlossen, darunter Australien, Brasilien, Indien, Israel und die USA – auch diese zählen daher nicht zum vertragslosen Ausland, sondern es gelten "Regelungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts beziehungsweise des jeweiligen Sozialversicherungsabkommens", gibt die Deutsche Rentenversicherung an.

Bei die spätere Rente gilt es einiges zu beachten

Wer aber ins Ausland geht und von dort aus eine Beschäftigung aufnimmt, muss sich in der dortigen Rentenversicherung versichern. Was immer möglich ist: eine freiwillige Versicherung in Deutschland, unabhängig vom Wohnort. Für wen dies alles nicht gilt – Selbstständige etwa, die nicht freiwillig versichert sind –, der müsse beim Kalkulieren seiner Altersfinanzen einiges berücksichtigen, warnt etwa die Versicherungsgruppe BDAE aus Hamburg. "So hat man etwa keinen Anspruch mehr auf Erwerbsminderungsrente, wenn man in den vergangen fünf Jahren länger als zwei Jahre am Stück keine Beiträge mehr abgeführt hat. Auch die Höhe des Rentenanspruchs sinkt mit jedem Monat, in dem keine Beiträge ins System eingezahlt worden sind."

Neben einer freiwilligen Rentenversicherung nennt der Personalberater Randstad private Lebens- oder Rentenversicherungen sowie Aktien oder Immobilien als alternative Altersvorsorge. Steuerpflichtig ist man übrigens immer, auch ohne Einkünfte aus oder Wohnsitz in Deutschland - dann nur eben nicht in der alten Heimat, sondern im "Paradies".

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