Die Welt kriegt Hunger

Gestern Ägypten und Argentinien, heute Haiti – und morgen Afrika und Asien? Die Lebensmittelknappheit wird zum globalen Megathema. Die Unruhen könnten zum Flächenbrand werden. Auch der reiche Westen ist schuld an der drohenden Katastrophe.
Die Warnung könnte deutlicher kaum sein: „Hunderttausende werden darben, und Kinder werden ihr Leben lang unter Mangelernährung leiden“: Dominique Strauss-Kahn sagte das am Wochenende. Er ist Präsident des Internationalen Währungsfonds und kein Panikmacher. Aber was sich in den letzten Monaten rund um den Globus abspielt, alarmiert selbst die kühlsten Rechner: „Der Hunger ist auf die Tagesordnung zurückgekehrt“, sagt Joachim von Braun, Generaldirector des „International Food Policy Research Institute“ (IFPRI).
Was jahrelang aus den Blickfeld geraten ist, kehrt mit aller Macht zurück: Die Armen sind so arm, dass sie sich das Essen nicht mehr leisten können. Verantwortlich dafür ist eine Reihe von Gründen, und wieder einmal spielen auch der reiche Westen und Norden eine Rolle.
Unruhen in beinahe allen Kontinenten
Rund um den Erdball brechen immer wieder Hungerunruhen aus. Vergangenes Wochenende starb in Haiti ein nigerianischer UN-Soldat, der mit Lebensmitteln zu seiner Einheit im ärmsten Land Amerikas zurückkehren wollte. Er wurde für seine Fracht erschossen. Seit Tagen brennen die Barrikaden in dem Karibik-Staat. Das Parlament entließ den Premierminister, obwohl der eine Senkung der Reispreise verkündet hatte – zu spät.
Unruhen gibt es in beinahe allen Kontinenten, die Ursachen sind die gleichen. In Ägypten warfen Frauen Steine gegen Polizisten. Fabrikarbeiter zertrampelten Porträts des autokratischen Präsidenten Hosni Mubarak – die Brotpreise waren explodiert. Mit Waffengewalt und neuen Subventionen brachte die Regierung die Lage vorerst unter Kontrolle. Unruhen gab es in Mexiko und in Argentinien, in Burkina Faso und in Mali, auf den Philippinen und in Indonesien. Eklatant gestiegene Lebensmittel-Preise treiben die Menschen zur Verzweiflung. Ende 2007 konnten sich rund 880 Millionen Menschen nicht genug zu essen leisten, seitdem sind nach den Zahlen der IFPRI-Ernährungsforscher die Lebensmittelpreise um 40 Prozent gestiegen. Mittlerweile dürfte die Zahl der armen Hungernden auf über eine Milliarde gestiegen sein.
Die Ursachen für die Krise sind kein Geheimnis:
In Europa und Australien gab es in den vergangenen Jahren eine Reihe schlechter Ernten.
Das Wachstum in Indien und China steigert die Nachfrage nach Getreide. Das wird nicht zu Brot gebacken, sondern an Vieh verfüttert. Wenn die Wirtschaft boomt, steigt die Nachfrage nach Fleisch.
Durch die weltweit anhaltende Überproduktion der vergangenen Jahre wurden Flächen stillgelegt und die Forschung nach effektiveren Anbau-Methoden und Sorten vernachlässigt.
Und der 100-Dollar-Fass-Preis für Erdöl macht den Pflanzenanbau von Bio-Treibstoff lukrativ – auf Böden, die dem Lebensmittel-Anbau fehlen.
Preise um 50 Prozent gestiegen
Die Folgen: Seit Mitte 2007 sind die Preise für Mais, Reis oder Weizen um 50 Prozent gestiegen. Die wilde Spekulation mit den Rohstoffen an den Warenterminbörsen der Welt verstärkt den Trend zu irren Preissprüngen.
Und die Staaten machen die Sache nur noch schlimmer. Der reiche Westen, auch die EU, versperren den Armen seit Jahren den Zugang zu ihren Märkten. Auf diese Weise torpediert der Westen den Anbau von Getreide dort, wo es jetzt gebraucht würde. Jetzt, in der Krise, erhöhen die reichen Länder ihre Vorräte. Das Welternährungsprogramm der Uno, das 70 Millionen der Ärmsten aus Mitteln der Überschussproduktion versorgt, musste seine Portionen rationieren. Die armen Staaten, die auf Importe angewiesen sind, müssen plötzlich exorbitante Rechnungen für ihre Grundnahrungsmittel bezahlen. Im Zeitraum von 2000 bis 2007 stiegen die Lebensmittelpreise um 137 Prozent. In den Industrieländern stiegen in der Zeit die Importpreise um 22 Prozent, in den Entwicklungsländern um 50 Prozent und in den ärmsten Ländern um 90 Prozent.
Die Nachfrage nach Bio-Kraftstoffen dürfe nicht dazu führen, dass die Lebensmittelpreise steigen, sagte Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bei der Weltbank-Tagung in Washington. Dazu brauche es ein neues Regelwerk.
Banges Warten auf den Monsun
Als wären die Aussichten nicht trübe genug, schauen Experten mit Bangen auf den Frühsommer. Wenn der Monsun in Asien ausbleibt, könnten 1,1 Milliarden Menschen von Missernten betroffen sein. Das letzte Mal blieb der Monsun 2002 aus. Damals waren die Getreidelager voll, der Notstand wurde abgewehrt. Heute sind die Lager leer.