Die Lebensmittel-Lügen

Kein Schinken im Schinkenbrot, keine Früchte in der Fruchtcreme – Verbraucherschützer beklagen Irreführung bei der Benennung von Nahrungsmitteln. Ganz kompliziert ist es beim Leberkäs'
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Stefanie A. Roeder Illustration

Kein Schinken im Schinkenbrot, keine Früchte in der Fruchtcreme – Verbraucherschützer beklagen Irreführung bei der Benennung von Nahrungsmitteln. Ganz kompliziert ist es beim Leberkäs'

MÜNCHEN Eigentlich sind sie dazu da, mehr Transparenz in die Kennzeichnung von Lebensmitteln zu bringen. Doch in Wirklichkeit ist alles höchst geheim. Die Mitglieder „Lebensmittelbuch-Kommission“ sind zu strengstem Stillschweigen verpflichtet. So darf die Öffentlichkeit nicht erfahren, dass „Schinkenbrot“ keinen Schinken enthalten muss und Fruchtcreme keine Früchte.

Dabei sind die so genannten Verkehrsbezeichnungen von Lebensmitteln entscheidend für die Kaufentscheidung der Verbraucher – doch durch die Geheimhaltung muss oft die Katze im Sack gekauft werden. Eine Klage der Organisation „Foodwatch“ auf Preisgabe der Protokolle der Kommission wurde jetzt von einem Gericht abgewiesen.

Dabei wurden Konsumenten in der Vergangenheit oft irreführende Begriffe zugemutet – so wurde festgelegt, dass zusammengeklebte Fleischfasern als „Formfleisch-Schinken“ oder Kalbsleberwurst keine Kalbsleber enthalten musste. Die „Mogel-Strategie“ der Lebensmittel-Industrie, die in der Kommission die Mehrheit hat, werde durch solche Definitionen erleichtert, so Foodwatch-Sprecher Martin Rückert. Die AZ präsentiert noch mehr Beispiele:

Wurstsalat: Bei der Zubereitung mit Essig und/oder Speiseöl muss der Wurstanteil mindestens 50 Prozent betragen, bei Zubereitung mit Mayonnaise dagegen nur 25 Prozent

Schinkenbrot ist Rogenvollkornbrot oder Roggenschrotbot. Es weist einen herzhaften Geschmack auf. Ein Zusatz von Schinken ist nicht üblich.

Schokoladenpudding muss nur ein Prozent Kakaopulver enthalten, also bei 500 g Pudding nur 5 g Kakao.

Heringssalat muss nur zu 20 Prozent aus Hering bestehen. Der Rest sind laut Lebensmittelbuch „andere Zutaten wie Gurken, ggf. auch Rindfleisch oder Fleischsalatgrundlage“.

Sahnefüllungen von Sahne- und Fruchtsahnetorten brauchen nicht mehr als 60 Prozent Schlagsahne enthalten, haben sie einen geringeren Anteil, werden sie als Sahnecreme bezeichnet.

Brot muss keineswegs gebacken sein. Es wird „in der Regel durch Kneten, Formen, Lockern, Backen oder Heißextrudieren des Brotteiges“ hergestellt. Darunter versteht man, dass der Teig maschinell erhitzt, gerührt und unter hohem Druck aus einer Maschine gepresst wird.

Schinken darf auch genannt werden, wenn „Muskeln und Muskelgruppen, die aus dem Zusammenhang gelöst worden sind und auch isoliert als Schinken verkehrsfähig wären, zu größeren Schinken zusammengefügt werden“.

Fruchtfüllungen werden tatsächlich aus Früchten hergestellt; im Gegensatz zu „Fruchtcremefüllungen", die komplett ohne Früchte sein dürfen – und ihren Geschmack zu 100 Prozent aus Aromen beziehen.

Der verzwickte Fall des Leberkäs'

Er ist neben dem Weißbier eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel für den Münchner: Der Leberkäs’: Bei ihm sind die Leitsätze aus dem Lebensmittelbuch besonders verzwickt: In Bayern muss das Produkt keine Leber enthalten. Für den Rest der Republik gilt: „Leberkäse“ wird mit Leber hergestellt, wird er ohne Leber zubereitet, muss er „Bayerischer Leberkäse“ (oder Fleischkäse) heißen.

Der Name „Leber“ ist ohnehin irreführend: Als die Wittelsbacher Ende des 18. Jahrhunderts nach München kamen, brachten sie ihre Mannheimer Metzger mit. Diese legten vor dem Garen den Fleischbrät in Käseformen. Die Bayern gaben ihm den Namen „Loab wie a Käs’, woraus Leberkäse wurde. Fast jeder Metzger hat sein Spezialrezept für Leberkäs’, doch diese Zutaten gehören auf jeden Fall hinein: gepökeltes Rindfleisch, fettreiches Schweinefleisch, Speck, Wasser, Zwiebeln, Salz und Majoran. Das wird zu einer feinen Masse verarbeitet und in einer Kastenform gebacken.

Die Rezepturen werden wie Geheimnisse gehütet. Doch Markus Brandl von „Vinzenz Murr“ verrät, was einen guten Leberkäs’ ausmacht: „Wichtig ist, dass er täglich frisch hergestellt wird. Dann muss er im Ofen gebacken werden, da er sonst keine Kruste erhält und auch nicht so gut schmeckt. Und für den Geschmack wichtig ist der Anteil an Rindfleisch.“

Sie können ihn auch selber machen

Man kann Leberkäs auch selbst herstellen: 400 g gepökeltes Rindfleisch und 400 g Schweinfleisch in grobe Stücke schneiden und durch die feine Scheibe eines Fleischwolfes drehen. In einen Mixer geben und unter Beigabe von Salz und Pfeffer, sowie 1/4 l lauwarmen Wasser glatt rühren. 200 g grünen Speck (ohne Schwarte) durch die grobe Scheibe des Fleischwolfes drehen und locker unter das Fleischbrät mischen. Zwiebel schälen, reiben und mit dem Majoran ebenfalls unter das Brät mischen. Diese Masse kalt stellen. Zum Backen eine Kastenform mit Butter ausfetten und das Brät hineinfüllen. Anschließend bei 180° C im Backofen auf mittlerer Schiene 1 Stunde backen.

Der nicht-bayerische Leberkäse – also der, der Leber enthalten muss – schmeckt übrigens, so verriet uns ein norddeutscher Metzger (der allerdings nicht namentlich genannt werden will, „ums nicht mit den Bayern zu verderben“) „viel aromatischer“ als sein bayerisches Pendant. Wer’s glaubt

Kalbskäs ist übrigens auch so eine irreführende Bezeichnung: Er muss kein Kalbfleisch enthalten, wird aus den selben Zutaten hergestellt wie Leberkäs’, allerdings nicht aus gepökelten Fleisch. Dadurch wird die gegarte Masse nicht rosa, sondern weiß. Außerdem wird er anders gewürzt. Michael Heinrich

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