Die Achttausender dieser Welt: Der letzte Gipfel
KATHMANDU - Die Südkoreanerin Oh Eun-Sun könnte die erste Frau werden, der es gelingt, alle 14 Achttausender zu besteigen. Ihr fehlt nur noch die Annapurna, wo sie sich derzeit im Basislager vorbereitet.
Begonnen hat der Wettkampf schon vor einem Jahrzehnt, aber in diesen Tagen könnte er entschieden werden: Wer wird die erste Frau sein, die alle 14 Achttausender-Gipfel bestiegen hat? Wer wird das weibliche Pendant zu Reinhold Messner, der diese Pioniertat am 16. Oktober 1986 auf dem Gipfel des Lhotse vollendete – und auch heil ins Basislager zurückkehrte?
Seit Samstag, 10.30 Uhr (MSZE), ist die heiße Endphase eingeläutet. Zu diesem Zeitpunkt erreichte die 36-jährige Baskin Edurne Pasabán den 8091 Meter hohen Gipfel der Annapurna. Ihr fehlt nun nur noch der Shisma Pangma (8027 Meter) in China zur Unsterblichkeit. Dennoch werden Pasabán allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt. Schließlich traf sie im nepalesischen Basislager der Annapurna auf ihre größte Konkurrentin, die 44-jährige Oh Eun-Sun, die nur noch diesen Gipfel bewältigen muss, um das Rennen für sich zu entscheiden.
Einfach allerdings ist das Unterfangen nicht, selbst Reinhold Messner hält die Annapurna für den gefährlichsten aller Achttausender. Dies hat weniger mit besonderen Steilwänden zu tun (technisch gilt der K2 beispielsweise als schwieriger), sondern mit den berüchtigten Eislawinen, die den Auf- und Abstieg – je nach Witterung – zu einem Lotteriespiel machen.
Dass sich Pasabán und Eun-Sun im Basislager trafen, wird als Entspannungszeichen gedeutet. Aber Oh Eun-Sun hat, im Gegensatz zu anderen Aspirantinnen wie der Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner, nie einen Hehl daraus gemacht, dass es ihr um den Rekord geht. Dafür kann sie mit einer Unterstützung rechnen, die alle ihre Mitbewerber in den Schatten stellt. Generalstabsmäßig (und vom südkoreanischen Staat finanziert) wurden ihre Expeditionen vorbereitet. Ihr Gipfelanstieg zur Annapurna soll live übertragen werden.
Kaltenbrunner verlor im vergangenen Jahr fast alle Chancen, als sie in zwei Versuchen am extrem verschneiten K2 scheiterte. „Es geht mir nicht um den Wettkampf“, erklärte sie Monate später bei der Vorstellung ihrer Autobiografie in München, „sondern um das Gefühl, das man da oben erleben kann.“
Die 39-Jährige ist nun am Mount Everest unterwegs, der einzige Gipfel, der ihr neben dem K2 noch fehlt. Sie will sich ihren Lebenstraum, alle Achttausender zu besteigen, unbedingt erfüllen, auch wenn ihr jemand ein paar Monate zuvor kommt.
Dass Oh Eun-Sun in der europäischen Bergszene nicht so geschätzt wird, liegt auch an ihrem Stil. Sie soll beim K2 und Everest Sauerstoff eingesetzt haben, und arbeitet mit viel mehr Trägern, Unterstützung und Fixseilen als die dem Alpinstil verschriebenen Kaltenbrunner und Pasabán. Im Jahr 2008 schaffte es Oh Eun-Sun nur deshalb auf drei Achttausender, weil sie sich mit dem Helikopter zeitsparend zum Basislager fliegen ließ. Das allerdings tat 1986 auch Reinhold Messner, als er sich vom Makalu- zum Lhotse-Basislager fliegen ließ. Er musste Zeit sparen, um den Wettkampf gegen seinen härtesten Widersacher, den polnischen Bergsteiger Jerzy Kukuczka, zu gewinnen. Die Unsterblichkeit ist für Menschen ab einem gewissen Ehrgeiz schließlich keine Stilfrage mehr. Volker Isfort
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