Deutscher im All: Jubel in Oberpfaffenhofen

Beim Start der Raumfähre "Atlantis" vom US-Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida, fieberte zeitgleich Ministerpräsident Beckstein im Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen mit.
OBERPFAFFENHOFEN Gestern war es noch der Defiliermarsch, heute sind es Sphärenklänge, zu denen Günther Beckstein eintrifft. Ist ja auch nicht die Folkore-Variante, sondern die High-Tech-Seite Bayerns, die der Ministerpräsident repräsentieren soll. Der Start der Raumfähre „Atlantis“ steht auf dem Programm, eine Menge deutsche Technik an Bord, und Beckstein freut sich sichtlich mehr auf den Auftritt hier in Oberpfaffenhofen als auf den Bierzelt-Krampf-Auftritt von Passau.
„Seit meiner Jugend“, erzählt Beckstein im Raumfahrtkontrollzentrum, fasziniere ihn die Raumfahrt, und „als normaler Tourist“ habe er die US-Raumfahrstätten besucht. Deshalb sei das ein besonderer Tag. Nicht nur für ihn. Hier im Kontrollzentrum brandet Beifall auf, als das betagte „Atlantis“-Shuttle endlich abhebt von Plattform 39 A des Kennedy-Space-Centers in Florida. Zehn Minuten war das „Startfenster“ breit. Zehn Minuten hatte die „Atlantis“ gestern zwischen 20.40 und 20.50 Uhr Zeit, um zwischen Gewitterwolken und Tornado-Fetzen ihre 800 Millionen-Euro-Fracht in die Umlaufbahn zu schießen. Trotz widrigster Umstände und schlechter Wetter-Prognose nutzten die Ingenieure ihre Chance. Um 20.45 Uhr hatten zwei Monate Warten ein Ende. Erstmals im Dezember sollte der „Columbus"-Satellit starten, technische Banalitäten wie ein Knick im Schlauch stoppten die Mission mit Astronat Hans Schlegel.
Das „Columbus"-Labor, das zum Großteil von EADS in Bremen gebaut wurde, ist der wichtigste Beitrag Europas zur internationalen Raumstation ISS. Jetzt ist es auf dem Weg zur Raumstation.
Mehrere Jahre lang sollen dort Experimente stattfinden, die nur in der Schwerelosigkeit funktionieren, und deren Erklärung Fachleute viel Zeit kostet. Es geht um Plasma-Forschung, Raumfahrtmedizin, Biotechnologie und ähnlich Aufregendes. Und auch Günther Beckstein macht sich nicht viel Mühe, den Erklärungen zu folgen – zumal etliche der Wissenschaftler lieber englisch reden.
Bei vorangegangenen Experimenten fanden die Weltraumforscher immerhin heraus, dass die Genauigkeit der Feinmotorik des Menschen in der Schwerelosigkeit beeinträchtigt ist, „was durch erhöhte Denk-Anstrengung ausgeglichen werden kann“. Interessant zwar, eingängiger ist in der Marmor-gefliesten Vorhalle aber ein gewisser Geruch nach technisch Verbranntem – vielleicht ist es ja Raketen-Treibstoff, wie ein Scherzbold meint. „Jetzt machen die den Dampfer scharf“ hat Ulf Merbold, erster ESA-Astronaut, die verschiedenen Schritte des Countdowns erklärt. Er kann durchaus plastisch erzählen, und wenn man hört, dass ein startendes Shuttle ungefähr einem balancierten Besenstiel entspricht, der während des Starts mit den Triebwerken mühsam ausgerichtet werden muss, dann kommt kurz die alte Faszination von Raumfahrt zurück. Und Günther Beckstein sieht dann wirklich ein wenig aus wie ein Bub, der ganz hingerissen ist von den Möglichkeiten der Technik: „Wenn ich da als harmloser Jurist sehe, mit welcher Präzision diese Wissenschaftler arbeiten, dann bin ich immer wieder erstaunt.“ Und nach achteinhalb Minuten, als die „Atlantis“ in ihrer sicheren Umlaufbahn angekommen ist, macht sich wieder bodenständige Gemütlichkeit im Kontrollzentrum breit. Der Duft von Rakentreibstoff weicht langsam dem sanften Geruch von Leberkäs. Matthias Maus