Der Sieg der Tochter
ST. PÖLTEN - Die Schilderung des Leids, das Josef F. verursacht hat, und die Anwesenheit seines Hauptopfers im Gericht sorgt für den Zusammenbruch. Der bekannteste Verbrecher der Welt bekennt sich schuldig.
Die Bombe platzte um drei nach Neun. Gerade hatte Gerichtsgutachterin Heidi Kastner ihre Akten geordnet und ihren Auftritt vorbereitet, da meldet sich Josef F. zu Wort: „Ich bekenne mich schuldig“, sagt er leise. Und auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Andrea Humer: „In allen Punkten.“
Also auch des Mordes, also auch der Sklaverei, und nicht nur der Vergewaltigung, der Freiheitsberaubung und Blutschande. Damit hatte niemand mehr gerechnet, selbst sein Anwalt Rudolf Mayer war vom Sinneswandel seines berühmten Mandanten überrascht. Und doch hatte der Zusammenbruch des derzeit bekannteste Verbrechers der Welt einen Grund.
Hinten im Saal, auf den ansonsten leeren Zuschauerbänken, saß am Dienstag eine einzelne Frau. Es war die Tochter. Die 43-Jährige, die Josef F. 24 Jahre lang in seinem Keller eingesperrt hatte, die er tausende Male vergewaltigt hat, der er sieben Kinder machte, die sie allein mit Hilfe eines Fachbuchs und einer rostigen Schere zur Welt bringen musste.
F. sah die Schilderung seiner Taten aus der Perspektive seiner Tochter
Das Martyrium der Frau war vorne im Gerichtssaal zu sehen. Über einen Flachbildschirm liefen elf Stunden die Vernehmungsaufzeichnung der Tochter, erstmals sah F. die Schilderung seiner Taten aus der Perspektive seines Hauptopfers. Wie sie schrie und niemand sie hörte in den ersten Tagen; wie er schweigend runter kam in das elf Quadratmeter große Loch und sie vergewaltigte; wie er den Strom zur Strafe abstellte; wie sie die Kinder zur Welt brachte; wie sie hoffen musste, dass er wieder kommen würde, weil sie und ihre Kinder sonst verhungern würden.
All das hatte F. in seinen ersten Vernehmungen stets bestritten: „Sie übertreibt.“ Auch dass er sie mit einer Kette ans Bett gefesselt habe im ersten halben Jahr nach diesem schrecklichen 24. August 1984, das bestritt er in seinen ersten Vernehmungen: „Sie hatte kein Bett, es gab nur einen Kübel“.
Auch zum Prozess-Auftakt hatte der Horror-Vater, der als „Monster“ Gegenstand eines Buchs ist, und als „Evil Dad“ weltberüchtigt wurde, nur ein Teilgeständnis abgelegt: Nur die Delikte mit geringerer Strafandrohung gab er zu, auf Blutschande steht nur ein Jahr in Österreich, auf Vergewaltigung, die er „teilweise“ zugab, 15 Jahre.
Der Mann klingt plötzlich wie ein tragisch verstrickter Vater
Doch die Taktik, offenbar mit seinem Anwalt Rudolf Mayer abgesprochen, brach an diesem Dienstag in sich zusammen. Denn während vorne nur die DVD lief, saß hinten die echte Person. „Da hat eine echte Erschütterung in ihm stattgefunden“, sagte sein Anwalt Rudolf Mayer gestern.
Nach seinem Schuld-Bekenntnis fasste sich F. wieder. „Ich habe gestern ihre Aussage gehört und und ich habe eingesehen, dass ich mich geirrt habe, sagte der 73-Jährige mit fester Stimme in den bombastischen Schwurgerichtssaal 119 des Landesgerichts St. Pölten.
Zuvor hatte ihn die Vorsitzende nach dem Hintergrund seines Sinneswandels gefragt. Keineswegs habe er den Zwillingsbuben, der nach der Geburt im April 1996 nur 66 Stunden überlebte, absichtlich sterben lassen: „Ich weiß nicht, warum ich nicht geholfen habe. Ich war der Hoffnung, dass er’s durchsteht.“ Der Mann, der sieben Menschen versklavte und wie Gegenstände behandelte, klingt plötzlich wie ein tragisch verstrickter Vater.
Jetzt droht F. lebenslange Haft
„Das geschah auf keinen Fall aus Berechnung“, sagte Anwalt Mayer, dem die Annahme des Mandats schon mehrere Morddrohungen eingebracht hat: „Ich glaube nicht, dass er an die Konsequenzen gedacht hat.“ Jetzt droht F. lebenslange Haft.
Gutachterin Heidi Kastner ließ in ihrem Gutachten keinen Zweifel, dass der 73-Jährige voll schuldfähig ist. Zugleich brachte sie etwas Licht in die Frage nach den Ursachen für sein übersteigertes Machtbedürfnis. Seine Mutter habe ihn nur zur Welt gebracht, um ihre Fruchtbarkeit zu beweisen. In all den Jahren der Geiselnahme habe er stets im Bewusstsein der Schuld gehandelt: Gleichzeitig habe er es fertiggebracht, sein kriminelles Leben im Keller hinter sich zu lassen, wenn er in der Oberwelt war, wo er Familienvater und erfolgreicher Geschäftsmann war.
Das Doppelleben werde auch weitergehen, sagte die Gutachterin, weshalb F. „solange sicher verwahrt werden müsse, bis diese Behandlung einen Erfolg garantiert.“ Im Klartext: F., der im April 74 wird, wird für den Rest seines Lebens weggesperrt bleiben. Heute werden die Geschworenen ihr Urteil fällen.
Matthias Maus
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