Der neue Krisen-Trend: Der Chef als Geisel
In Frankreich halten Angestellte ihre Manager nächtelang in Büros fest - sie wollen damit gegen den Abbau von Arbeitsplätzen demonstrieren. Die Politiker sind ratlos, nur ein Unternehmensberater gibt praktische Tipps.
PARIS Der Frühling in Frankreich wird heiß. Während die Deutschen fleißig Autos abwracken, gehen unsere Nachbarn in der Krise auf die Barrikaden – und erfinden eine neue Form der sozialen Auseinandersetzung: Das „Bossnapping“. Aufgebrachte Arbeiter nehmen ihre Chefs als Geiseln und wollen so den Erhalt von Arbeitsplätzen erzwingen.
In den vergangenen drei Wochen gab es fünf große Geiselnahmen in französischen Firmen – zuletzt am Gründonnerstag beim Automobilzulieferer Faurecia in Brières-les-Scellés. Bis Mitternacht verrammelten Angestellte die Türen, setzten drei Manager fest. Beim Mischkonzern 3M in Pithiviers saß Frankreich-Chef Luc Rousselet zwei Tage und zwei Nächte lang hilflos in seinem Büro herum. Der Frankreich-Chef von Sony, Serge Foucher, wurde eine Nacht lang im Werk in Pontonx-sûr-l’Adour festgehalten und vergangenen Mittwoch wurden drei Manager des Klebebandherstellers Scaba in Bellegarde freigelassen, nachdem sie höhere Abfindungen versprochen hatten.
Am heftigsten lief bisher die Geiselnahme beim Baumaschinenhersteller Caterpillar in Grenoble. 733 Jobs sollen hier wegfallen. Der Konflikt schwelt schon lange: Immer wieder finden Manager ihre Autos mit zerstochenen Reifen und zerkratztem Lack vor. Mitte März wollen Arbeiter zum ersten Mal die Firma besetzen, aber sie scheitern: Die Bosse fliehen überstürzt, der Europachef verliert dabei einen Schuh und heißt seitdem „Aschenputtel“.
Am Dienstag, den 31. März eskaliert die Lage endgültig: Gegen zehn Uhr morgens stürmen Gewerkschafter und Arbeiter das Hauptgebäude. Der Personalchef, der Qualitäts-chef und der Europachef flüchten ins Büro des Generaldirektors. Dort harren sie zu viert aus, draußen halten die Kidnapper-Untergebenen Wache.
Pizza für die eingesperrten Manager
Sie knöpfen den Bossen die Handys ab, nehmen auch die Festnetztelefone mit. Gegen Abend bestellen sie Pizza für die eingesperrten Manager, rufen deren Ehefrauen an und sagen Bescheid, dass die Männer heute nicht heimkommen. Draußen verbrennen sie Reifen, spielen Rap und Revolutionslieder. Erst am Mittag drauf lassen die Arbeiter die Geiseln frei.
Das „Bossnapping“ ruft in der französischen Bevölkerung aber keine Empörung hervor, im Gegenteil: 45 Prozent finden das Manager-Kidnapping gut, ergab eine Umfrage des Instituts CSA. Tatsächlich sind nicht nur die einfachen Arbeiter aktiv an den Geiselnahmen beteiligt: Bei Faurecia waren es jetzt Entwicklungs-Ingenieure.
„Diese Radikalisierung des Protests ist typisch französisch“, sagt Olivier Labarre, Vizechef der französischen Management-Beratung BPI. „Die Menschen sind angesichts der Krise überall verunsichert, aber bei uns in Frankreich ist der soziale Dialog viel fordernder als in anderen Ländern.“ Henrik Uterwede vom Deutsch-Französischen Institut glaubt: „In Deutschland haben Angestellte mehr Vertrauen in Gewerkschaften.“ Und müssen nicht zu solch extremen Mitteln greifen.
Frankreichs Politiker sind ratlos. Präsident Sarkozy appellierte an seine Landsleute: „Respektiert die Gesetze!“ Einen praktischen Tipp hat wenigstens der Unternehmensberater Xavier Tedeschi: Ein „Survival-Kit“ fürs Manager-Büro. Darin: Ein Hemd zum Wechseln, Krawatte, Rasierer, Zahnbürste. Man weiß ja nie, wie lange so eine Geiselnahme dauert.
Annette Zoch
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