Der Mörderentlarver und Wunderheiler

Erst nach und nach entschlüsseln Forscher die vielfältigen Funktionen des Speichels – eine gesunde Mundflora kann Herzleiden vorbeugen.
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BERLIN - Erst nach und nach entschlüsseln Forscher die vielfältigen Funktionen des Speichels – eine gesunde Mundflora kann Herzleiden vorbeugen.

BERLIN Sie mutete ein wenig seltsam an, diese Party letzte Woche in Chelsea, USA: Da saßen Männer in maßgeschneiderten Anzügen neben Damen im schicken Cocktailkleid – aber statt mit Champagner anzustoßen, neigten ihre Köpfe nach vorn und spuckten in ein dünnes Röhrchen. Die Veranstaltung war eine eine Promotionsparty für „23andMe“, eine Firma die DNA-Tests im Internet vertreibt. Sie wirbt damit, anhand der Proben Auskunft geben zu können über genetische Veranlagungen von einer Vorliebe für Zucker bis hin zum Risiko einer Krebs-Erkrankung

Die Genauigkeit dieser Vorhersagen anhand einer einzigen Speichelprobe sind sehr umstritten. Fest steht: Erst Stück für Stück kommt die Forschung hinter die Eigenschaften der vielfältigen Flüssigkeit. Nicht nur Zähne remineralisieren gehört zu den Aufgaben des Speichels, er kann auch Wunden heilen, Krankheiten aufzeigen und Mörder überführen. „Offenbar wussten schon die Steinzeitmenschen, dass es gut ist, den Speichelfluss anzuregen“, sagt Professor Gerhard Meyer von der Universität Greifswald. So zeigen Skelettfunde, dass Menschen schon vor rund 23 000 Jahren kleine Kieselsteine lutschten – als eine Art prähistorisches Bonbon, oder auch um die Verdauung anzuregen.

Speichel hat eine Wächterfunktion

„Speichel hält die Mikrobiologie im Mund im Gleichgewicht und hat eine wichtige Wächterfunktion,“ so der Professor. Kein Wunder, dass die Mundflüssigkeit zum Hauptthema des „Tages der Zahngesundheit“ am 25. September auserkoren wurde. Wem die Spucke wegbleibt, der bekommt nicht nur einen trockenen Mund. Ein ausbalanciertes System der Immunabwehr im Mundraum gerät aus dem Gleichgewicht, was Karies, Parodontose und sogar Erkrankungen im ganzen Körper zur Folge haben kann. Etwa ein Viertel aller Deutschen, Tendenz steigend, leidet zumindest zeitweise unter Mundtrockenheit – ausgelöst wird sie durch Medikamenteneinnahme, Diabetes oder Bestrahlungen. Hier gilt es, so Meyer, mit zuckerfreien Kaugummis oder mit Medikamenten den Speichelfluss wieder in Gang zu bringen.

Sind die Parodontose- und Karies-Keime nämlich einmal im Körper, können schlimmstenfalls Herzinfarkte, Blutgerinnungsstörungen oder sogar Entzündungen des Herzmuskels die Folge sein. „Die Kardiologen haben die Mundhöhle als Hochrisikogebiet entdeckt“, berichtet Meyer. Im Tierversuch sind Zusammenhänge zwischen Parodontose- Keimen und Herz-Kreislauf- Leiden bis hin zu Herzinfarkt und Schlaganfall belegt worden. Anerkannt sind auch die Fähigkeiten des Speichels als kriminologisches Hilfsmittel. Ebenso wie aus Haaren oder Hautschuppen sind aus einem Kaugummi untrügliche DNASpuren zu entnehmen, die eine Identifizierung des Kaugummi- Kauers möglich macht – sei der nun der Mörder oder der zu bestimmende Vater. Da im Speichel auch zahlreiche Eiweiße zu finden sind, steht er im Fokus der Diagnostika- Industrie: Denn wie viel einfacher wäre es, Aids, Diabetes oder eine Schwangerschaft durch einen simplen Speicheltest festzustellen.

Speichel fördert die Wundheilung

Bislang gibt es noch Probleme, da die Speichelmenge und damit die Konzentration der Eiweiße schwankt. In den USA arbeiten Forscher mit Hochdruck daran mit Hilfe bestimmter Botenmoleküle Mund- oder Brustkrebs per Speichelprobe zu identifizieren. Früherkennung und Nachsorge könnten so vereinfacht werden. Dann werden vielleicht auch die Do-it-youself-Tests von „23andMe“ aussagekräftiger und anerkannter. Einen ganz simplen Effekt hat der Zaubersaft bereits jetzt – das im Speichel enthaltene Protein Histatin fördert die Wundheilung. Einfach auf die Schürfwunde am Knie draufzuspucken funktioniert also wirklich. „Aber es muss eigene Spucke sein!“, so Meyer

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