Der Klebe-Kult

Alles Panini vor dem Start der Fußball-EM: Drei Millionen Alben sind bei uns auf dem Markt. Und die Sticker-Sammellust packt nicht nur Kinder Quer durch die Republik wird gezockt, getauscht und geklebt.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Objekte der Begierde: Alben mit den Fußball-Helden von einst
imago Objekte der Begierde: Alben mit den Fußball-Helden von einst

MÜNCHEN - Alles Panini vor dem Start der Fußball-EM: Drei Millionen Alben sind bei uns auf dem Markt. Und die Sticker-Sammellust packt nicht nur Kinder Quer durch die Republik wird gezockt, getauscht und geklebt.

Das Virus breitet sich aus wie eine Sommergrippe. Väter infizieren ihre Söhne, Teenies stecken ihre Freunde an, gestandene Kerle ihre Kollegen, sogar ihre Frauen und Freundinnen. Das Virus kurz vor dem Start des nächsten Fußball-Sommers heißt: Panini.

Seit der italienische Verlag zur Fußball-EM (Start am 7. Juni in Basel) über drei Millionen der neuen Sammelalben „UEFA-Euro-2008“ auf den deutschen Markt geworfen hat, mit Platz für Klebebildchen aller europäischen Fußballstars, wird quer durch die Republik gezockt, getauscht, geklebt. Deutschland, ein Volk vernarrter Jäger und Sammler. Warum bloß?

Pro Buch gilt es 535 Sticker zu sammeln, Schweinis und Poldis, Luca Tonis und Ronaldos, griechische Torhüter, holländische Stürmer und kroatische Verteidiger. 20 Spieler zu jedem der 16 Nationalteams, dazu Mannschaftsfotos, Wappen und Maskottchen, Bilder von den Stadien und Städten, vom Pokal und Action-Sticker der besten Helden der Nationen. Das schafft man nicht allein. Und genau das macht den Reiz aus.

Schnell hat man viele Bildchen doppelt

Die Sticker gibt es nur in undurchsichtigen 5-er Tütchen. 107 davon (für rund 65 Euro) müsste man kaufen, wenn jedes Bild darin ein Treffer wäre. Doch schnell hat man viele Bildchen doppelt. Dann bleibt nur eins: Tauschen. Klose gegen Gattuso, Henry gegen Charisteas, Kuranyi gegen Van Nistelroy. Und warum eigentlich sind die Russen so schwer und die Kroaten so leicht zu kriegen? Der Verlag beteuert immer wieder: Von allen Stickern werden gleich viele gedruckt. „Wir verknappen da nichts“, sagt Panini-Deutschland-Sprecher Jens Presche.

„Selbst wenn’s so wäre, das ist doch der Zauber an Panini“ sagt Sticker-Sammler Markus Krapf, „dass wir uns zum Tauschen immer wieder treffen müssen. Dauernd Leute kennen lernen. Dass wir die Köpfe zusammenstecken und über Fußball oder sonst was daherreden.“ Der Jagd- und Wettkampftrieb wird auch befriedigt: Wer ist am weitesten? Wessen Deutsche Heldenriege schon komplett? Und wer bietet wie viele Gesichter für ein Nationalwappen?

Tingeln zu den Tauschbörsen

Drei Viertel seines Albums hat Sammler Alfred West in sechs Wochen voll bekommen. „80 Sticker hab ich doppelt“, sagt er, „den Kroaten Balaban sogar vier Mal, dafür fehlt mir der Camoranesi, dann wären die Italiener komplett.“

Deshalb tingelt er regelmäßig zu Tauschbörsen. Wie Markus Krapfs Augsburger Kneipe „11er“, Treff für Fußballfreunde aus der Region. Gut 150 Sticker, lauter Tauschware, hängen da gerade neben dem Tresen. Unter echten Sammlern ist es verpönt, beim Verlag fehlende Sticker zu bestellen, oder übers Internet bequem mit anderen zu tauschen. „Der wahre Paninifreund macht das Auge in Auge, nur das ist echter Sportsgeist“, sagt Krapf.

So wie neulich, als ein Sammelfreak mit dem Album der 1982-er WM in Spanien auftauchte, und sich alle über die Frisuren der Spieler von damals amüsierten: „Das ist so ein Spaß“, sagt Krapf. „Das verbindet.“ Erwachsene wie Kinder. „Mit Panini erleben sie die Lust an der Gemeinschaft“, so die Kinder-Psychotherapeutin Annette Jugl, „da haben sie sich was zu erzählen, können darüber ihre Sorgen und Probleme vergessen.“

Sammel-Verbot an den Schulen

Ein Effekt, der die meisten Schulleiter in Bayern dazu veranlasst hat, die Sammelei im eigenen Haus zu untersagen. „Die Kinder sind so verrückt nach den Bildchen, die können sich im Unterricht auf gar nichts mehr konzentrieren“, sagt Ursula Veitleder, Rektorin an der Münchner Grundschule am Mariahilfplatz, „bei uns gilt jetzt Panini-Verbot.“ Genauso in Nürnberg. Dort verhängte Rektorin Helga Reichelt in der Henschel-Grundschule das Sammel-Aus.

Dass die 30 Millionen für Deutschland gedruckten EM-Tütchen (ein Viertel dessen, was im WM-Sommer 2006 über die Ladentheken ging), dennoch ihre Abnehmer finden, steht kaum zu bezweifeln. Denn die Ära der Panini-Alben geht zu Ende.

Für die jährlichen Bundesliga-Sammelhefte hat die amerikanische Kaugummifirma Topps“ ab nächstem Jahr die Lizenzen erworben. Wer die nächsten WM- und EM-Klebebildchen vertreiben darf, ist unklar. Womit das „Euro-2008“-Album in zwei, drei Jahrzehnten richtig Geld wert sein könnte. Für WM-Hefte von 1974 werden schon jetzt bis zu 1000 Euro geboten. Wenn sich das mal nicht lohnt.

Irene Kleber

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.