Der Horror im Hinterhof: 18 Jahre in der Hand des Irren

Spektakuläres Ende einer Entführung: Die heute 29-jährige Jaycee Lee Dugard wurde mit elf Jahren entführt. Sie lebte jahrelang in einem schallisolierten Bretterverschlag. In der Geiselhaft gebar sie ihrem fanatischen Peiniger zwei Töchter. Jetzt ist sie frei.
von  Abendzeitung

Spektakuläres Ende einer Entführung: Die heute 29-jährige Jaycee Lee Dugard wurde mit elf Jahren entführt. Sie lebte jahrelang in einem schallisolierten Bretterverschlag. In der Geiselhaft gebar sie ihrem fanatischen Peiniger zwei Töchter. Jetzt ist sie frei.

ANTIOCH Ein schalldichter Bretterverschlag im Hinterhof, von Pitbulls bewacht. Ein Leben in völliger Isolation. Und immer wieder die Besuche des Peinigers Phillip Craig Garrido, eines fanatischen Irren, der die Stimme Gottes zu hören glaubt. Die ständigen Vergewaltigungen und Misshandlungen – das war in den vergangenen 18 Jahren das Leben von Jaycee Lee Dugard.

Das alte Leben von Jaycee endet, als sie elf ist: Auf dem Weg zum Schulbus wird sie in einen Van gezerrt. Sie trägt eine pinkfarbene Jacke, pinke Schuhe und Schleife im Haar – sie ist eine kleine Prinzessin, wie alle elfjährigen Mädchen. 18 Jahre später ist sie eine zerstörte Frau, die sich Allissa nennt und mit ihrem Vergewaltiger zwei Kinder hat.

Der Kidnapper ist ein verurteilter Sextäter

Der Fall erinnert an Natascha Kampusch, an den Fall des Inzest-Opfers Elisabeth F. aus Amstetten. Durch Zufall wird die Polizei auf Jaycees Entführer aufmerksam: Auf dem Campus der Uni Berkeley will der 58-Jährige religiöse Flugblätter verteilen, im Schlepptau hat er zwei blonde Mädchen, elf und 15 Jahre alt. Ihnen gegenüber soll er sich "verdächtig" verhalten haben, so die Polizei.

Sie überprüft Garrido – er ist ein entlassener Straftäter, steht wegen mehrerer Sextaten unter lebenslanger Bewährung. Sein Bewährungshelfer bestellt Garrido zu einem Gespräch ein – offenbar zum ersten seit langer Zeit. Garrido erscheint mit den beiden Mädchen bei der Polizei, und einer jungen Frau. Sie stellt sich als "Allissa" vor, sagt, sie sei Garridos Frau. Im Lauf der Vernehmung wird klar: Sie ist die vor 18 Jahren entführte Jaycee.

"Da leben Kinder in seinem Garten, da stimmt etwas nicht"

Offenbar wurde sie die meiste Zeit in dem schallisolierten Bretterverschlag im Hinterhof des Hauses festgehalten. Dort kamen auch ihre beiden Töchter zur Welt – das erste Kind bekam Jaycee schon mit 14, das zweite mit 18. Ihr Gefängnis war eine raffinierte Konstruktion: Die Verschläge und Behelfs-Zelte befinden sich in einer Art Hinterhof im Hinterhof – so gut von Bretterzäunen, Gerümpel und Gestrüpp versteckt, dass selbst die Polizei das Versteck im Juli 2008 bei einer Durchsuchung nicht entdeckt.

Schon 2007 meldet sich Nachbarin Erika Pratt bei der Polizei: „Da leben Kinder in seinem Garten, da stimmt etwas nicht“, sagte sie den Beamten. Doch die meinten nur, ohne konkrete Beweise könnten sie sein Anwesen nicht durchsuchen.

Haydee Perry, eine andere Nachbarin, sah Garrido sogar mal mit den kleinen Mädchen: "Sie benahmen sich irgendwie nicht normal", erzählt sie. "Sie drückten sich die ganze Zeit an ihn und sie hatten einen seltsam leeren Blick. Im Nachhinein wirkt das wie ein Hilfeschrei."

Garrido sagt, Gott spreche aus einer Schachtel zu ihm

Garrido selbst wird von Bekannten als Irrer beschrieben. Er galt als fanatisch-religiös, gründete eine Kirche mit dem Namen "Gottes Verlangen". In seiner Heimat erzählte er, habe eine Art Schachtel entwickelt, die ihm erlaube, direkt mit Gott zu sprechen. Sein Bruder Ron sagt: "Ich glaube, dass er das gemacht hat. Er ist verrückt. Seine Frau Nancy war ein Roboter, er hatte sie unter Kontrolle. Er war wie Charles Manson." Die 55-jährige Nancy Garrido wusste laut Polizei über alles Bescheid – sie soll Jaycee vor 18 Jahren sogar ins Auto gezerrt haben.

Jaycees Stiefvater Carl Probyn musste die Entführung damals aus der Ferne mit ansehen – er versuchte, dem Van noch mit seinem Mountainbike zu folgen. Lange Zeit galt er selbst als verdächtig, darüber zerbrach die Ehe zu Jaycees Mutter Terry. "Ich hatte die Hoffnung aufgegeben. Ich bin so glücklich", sagt er. Er habe mit seiner Ex-Frau bereits telefoniert: Sie ist sofort ins nordkalifornische Antioch gereist, in einem Motel findet dort nun so etwas wie eine Familienzusammenführung statt. "Meine Frau sagt, Jaycee erinnert sich an alles." Körperlich gehe es Mutter und Töchtern gut, sagt die Polizei. "Doch 18 Jahre Isolation haben ihre Spuren hinterlassen." Die beiden Mädchen hätten nie in ihrem Leben einen Arzt gesehen, auch zur Schule gingen sie nicht.

Phillip Garrido gibt derweil aus dem Gefängnis haarsträubende Interviews: "Ich weiß, was zuerst passiert ist, war widerlich. Aber ich habe mein Leben verändert", schwadroniert er. "Die Zeugin, das Opfer, wird eine überwältigende Geschichte erzählen. Wenn man diese Sache untersucht, wird man am Ende auf eine komplett herzerwärmende Geschichte stoßen. Es wird sie alle umhauen."

Annette Zoch

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