Der DAK-Gesundheitsreport 2010: Schlaflos in München

Jeder zweite Berufstätige in Bayern leidet unter Schlafstörungen. Die Gründe sind vor allem Stress und Angst um den Arbeitsplatz aber auch unerkannte Krankheiten. Und die meisten Betroffenen lassen sich nicht behandeln.
von  Abendzeitung
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Fehlzeiten nach Branchen © AZ

Jeder zweite Berufstätige in Bayern leidet unter Schlafstörungen. Die Gründe sind vor allem Stress und Angst um den Arbeitsplatz aber auch unerkannte Krankheiten. Und die meisten Betroffenen lassen sich nicht behandeln.

Drehen sich Ihre Gedanken vor dem Einschlafen im Kreis, um den Alltag, um das, was Sie am Tag versäumt haben um das, was Sie dringend morgen machen müssen? Oder wachen Sie nachts auf und können nicht wieder einschlafen? Immer mehr Menschen geht das so, und zwar über immer längere Zeit. Wie der Gesundheitsreport der Deutschen Angestellten Krankenkasse DAK zeigt, haben Schlafstörungen in den letzten fünf Jahren drastisch zugenommen. Die Zahl der Krankmeldungen wegen Schlafmangels in Bayern ist zwischen 2005 und 2009 um fast 50 Prozent angestiegen - und das obwohl die allermeisten Betroffenen ihre Schlaflosigkeit nicht behandeln lassen und weiterarbeiten.

Die aktuelle Umfrage unter den DAK-Versicherten zeigt: Jeder zweite Berufstätige schläft schlecht oder kann nicht einschlafen. „Wir können deshalb fast von einer Volkskrankheit sprechen“, sagt Wilfried Erbe, bayerischer Landeschef der DAK. Bei jedem Zehnten sprechen die Experten von „hochgradigen“ Schlafproblemen. „Das sind in Bayern mehr als 600000 Erwerbstätige, die sich fast täglich übermüdet durch ihren Arbeitsalltag quälen“, sagt DAK-Chef Erbe.

Mit durchschnittlich sieben Stunden schlafen die Deutschen heute deutlich weniger als vor 50 Jahren. Und Schlaflosigkeit ist keineswegs harmlos: Es erhöht sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Angststörungen. „Wer dauerhaft weniger als sechs Stunden schläft, hat schlicht eine niedrigere Lebenserwartung“, sagt Katrin Krämer vom Iges-Institut.

Es gibt verschiedene Formen und Ursachen für Schlafstörungen. Hochgradige Schlafprobleme treten sehr oft zusammen mit anderen Gesundheitsstörungen auf: Zum Beispiel mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, starkem Übergewicht oder chronischen Schmerzen. Das Schnarchen, auch Apnoe genannt, kann nicht nur zu Schlappheit und Müdigkeit führen, sondern auch zu Bluthochdruck und schließlich zum Herzinfarkt.

Bei psychischen Störungen wie Depressionen gehören Schlafstörungen nahezu immer dazu – allerdings ist die Schlafstörung oft auch ein Vorbote und verstärkt die Gefahr einer psychischen Erkrankung.

Als Auslöser gaben die, die teilweise seit Jahren unter starken Schlafstörungen leiden, zu fast 40 Prozent „besonderer Stress und Belastungen“ an. „Dazu gehören auch Konflikte im Job, die sich angesichts der Wirtschaftskrise verstärkt haben“, sagt der DAK-Chef. An zweiter Stelle folgen mit 24,2 Prozent „Gedankenkreisen, Grübeln, Sorgen, Ängste“.

Die Angst, den Job zu verlieren, ist heute die am weitesten verbreitete Zukunftsangst. Jeder fünfte Betroffenen gibt an, dass ihn Schichtarbeit oder Arbeit nach 20 Uhr aus dem Schlafrhythmus bringen. „In unserer Rund-um-die Uhr-Gesellschaft mit Zeitdruck und Zwang zur Flexibilität kommen viele nachts nicht mehr zu Ruhe“, sagt DAK-Mann Wilfried Erbe.

Der Schaden, der so entsteht, ist enorm. Allein rund fünf Milliarden Euro kosten die Unfälle, die durch Müdigkeit verursacht werden – von den gesundheitlichen Folgen abgesehen. Außerdem leisten Menschen, die übermüdet arbeiten, deutlich weniger. Wilfried Erbe: „Schlafstörungen sind keineswegs ein harmloses Lifestyle-Problem.“

Tina Angerer

Immer mehr leiden unter psychischen Krankheiten

Nach den neuen Zahlen der DAK ist der Krankenstand in Bayern im Jahr 2009 leicht angestiegen. So waren täglich im Durchschnitt drei Prozent der Versicherten krankgeschrieben, 2008 waren es noch 2,9 Prozent. Fehltage ohne Krankschreibung fließen in die Statistik nicht ein. Durchschnittlich fehlte jeder elf Tage. Allerdings haben sich über die Hälfte der DAK-Versicherten, 53 Prozent, das ganze Jahr über überhaupt nicht krankschreiben lassen. Der Krankenstand in Bayern ist damit niedriger als im Bund (3,4 Prozent).

Der Anstieg kam unter anderem durch eine hohe Zahl von Erkältungen Anfang des Jahres 2009 zustande. Einen Zusammenhang mit der Schweinegrippe konnten die Experten nicht erkennen.

Ebenfalls auffällig ist der überdurchschnittlich starke Anstieg der psychischen Erkrankungen. Sie nahmen innerhalb eines Jahres um fünf Prozent zu, mehr als jeder zehnte Fehltag geht darauf zurück. „Insbesondere chronischer Stress in der modernen Arbeitswelt ist ein ernsthafter Risikofaktor für psychische Krankheiten“, sagt DAK-Bayernchef Wilfried Erbe. Am häufigsten fehlen Mitarbeiter wegen Erkrankungen des Muskel- Skelett-Systems, und da allen voranwegen Rückenschmerzen. „Was in die Statistik allerdings nicht eingeflossen ist: Rückenschmerzen haben ebenfalls oft psychische Ursachen“, erläutert Katrin Krämer vom Forschungs-Institut Iges.

Etwa ein Drittel aller Erwerbstätigen klagen laut dem Gesundheitsmonitor der Bertelsmann-Stiftung über psychische Belastungen. „Die werden sich vor dem Hintergrund der unsicheren wirtschaftlichen Verhältnisse noch verstärken“, sagt Erbe.

Insolvenzen, Kurzarbeit und Stellenabbau haben aber noch einen anderen Effekt: „Die individuellen Zukunftssorgen in der Wirtschaftskrise führen dazu, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit mit Fieber und Infektionen häufig weiterarbeiten“, sagt Erbe. Dadurch würden Krankheiten verschleppt.

Am höchsten ist der Krankenstand im Gesundheitswesen: 3,7 von 100 fehlten da pro Tag im Jahr 2009. Dort lassen sich die Mitarbeiter zwar selten, dann aber wegen der schwere der Erkrankung lange krankschreiben. In der Öffentlichen Verwaltung, die mit 3,3 Prozent auf Platz zwei liegt, fehlen viele, aber nur kurz. Den niedrigsten Krankenstand hat mit 2,2 Prozent der Bereich Bildung, Kultur und Medien.

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