Das World Wide Bed

Wo „Rocko28“ auf „Nackedei30“ trifft: Erotische Chatrooms und Portale boomen. Reporter Timo Lokoschat testet für die AZ-Sex-Serie seine Chancen im Cyberspace
von  Abendzeitung

Wo „Rocko28“ auf „Nackedei30“ trifft: Erotische Chatrooms und Portale boomen. Reporter Timo Lokoschat testet für die AZ-Sex-Serie seine Chancen im Cyberspace

„Uuuuuuuuuuuuuuuuuuuu, jaaaaaaaaaa, ich komme, du wilder Hengst!“, steht flimmernd auf meinem Monitor. Es sind die ersten Worte von „HotTippse42“. Das nennt man wohl „in medias res“ gehen.

Zugegeben: Ich hab’s auch provoziert. Wer sich mit einem nach Pornostar klingenden Namen wie „Rocko28“ anmeldet, muss wohl damit rechnen, derart angesprungen zu werden. Schließlich bin ich nicht auf der Homepage der Heilsarmee unterwegs, sondern auf treffpunkt-sehnsucht.de, einer von Millionen Seiten, in denen Menschen per Klick etwas Knisterndes suchen. Motto: Vom Chat ins Bett – und zwar möglichst kostenlos.

Mein Auftrag: Die Online-Parallelwelt nach paarungswilligen Weibchen durchstreifen und herausfinden, ob und wie schnell die Münchnerinnen da mitmachen. Los geht’s morgens um halb zehn in Deutschland: Zu einer Uhrzeit, in der sich Normalbürger laut Werbung mit Schokowaffeln vergnügen, machen sie in Wirklichkeit ganz andere Sachen. Sie loggen sich ein.

„Höhlenforscher“ und „Horst Pimmel“ sind ebenfalls auf Brautschau

Im rötlich verruchten Sehnsuchts-Chat ist es voller als um die gleiche Zeit auf dem Mittleren Ring. Nach Sekunden erreicht mich das erste unmoralische Angebot: „München ist geil, da bin ich gerade geschäftlich, und im Hotel ist es langweilig“, schreibt mir eine gewisse Frau „Hemmungslos!“. Eine Mittvierzigerin mit geflochtenen Zöpfen und Schmollmund, wie man auf ihrem grob gepixelten Profilbild sehen kann. Sie bevorzuge „jüngere Männer, die es noch so richtig bringen“.

Ich fühle mich geschmeichelt, ist die Konkurrenz doch nicht gerade klein. Benutzer wie „Bergdoktor“, „Heinz-Devot“, „Höhlenforscher“ und „Horst Pimmel“ gehen ebenfalls auf Brautschau. In welchem Hotel sie sei? Antwort: In einem noblen Vier-Sterne-Haus an der Schwanthalerstraße. Nicht weit vom Rundfunkplatz, wo die AZ residiert.

Mitten in meine Entscheidungsfindung platzt „Elke33“ aus München: „Ich habe zwei ziemlich überzeugende Argumente, hihi“, teilt sie mir mit. Zeitgleich informiert „HotTippse42“ über ihren bevorstehenden Höhepunkt, und „Bella“, eine „Fremdgängerin aus Leidenschaft“, fragt an, ob ich „auch ne nette lockere Sexbekanntschaft“ suche. Momente, in denen ich bete, dass unsere EDV-Abteilung die Internet-Protokolle nicht liest.

Wer rein will, muss eine Art erotische Steuererklärung ausfüllen

Auch die Sport-Redakteure, die mir im Rücken sitzen, werden langsam unruhig. Kein Wunder angesichts der Ladies, die auf meinem Flachbildschirm aufpoppen, während sie sich um eher ungeile Typen wie Klinsmann kümmern müssen. Meine Schadenfreude wird allerdings jäh getrübt, als ich folgende Nachricht erhalte: „Leider sind deine 15 Schnupperminuten nun um.“ Ab jetzt soll ich 30 Euro pro Stunde zahlen. Oder das Angebot wählen: 1450 Euro für 166 Stunden.

Ich gehe. Spuckt Google doch beim Suchbegriff „Chat“ sogar mehr Treffer aus als bei „Britney Spears nackt“: 677 Millionen. Einer davon: „Joyclub.de“, die „Community für stilvolle Erotik“. Auf der Startseite räkelt sich ein professionell ausgeleuchteter Frauentorso in ästhetischer Schwarz-Weiß-Optik. „Horst Pimmel“ würde sich hier wahrscheinlich unwohl fühlen.

Wer Mitglied werden will, muss zunächst eine Art sexuelle Steuererklärung ausfüllen. Neben Alter, Gewicht, Augenfarbe und vielen anderen „Angaben zur Person“ soll ich auch über meine „erotischen Vorlieben“ Auskunft geben. Kann zwischen „normalem Sex“, „hartem Sex“, „Oralsex“, „Kuschelsex“, „Rollenspielen“, „Fesseln“, „besonderen Orten“ und „Fisting“ wählen. Außer Fisting kreuze ich einfach mal alles an, man will ja nicht verklemmt rüberkommen.

Problemzonen lassen sich per Photoshop wegschneiden

500 Frauen aus Bayern sind im Joyclub. Deren Profile lesen sich in der Tat „stilvoll“, sind meist originell, glänzen mit lateinischen Zitaten und asiatischen Weisheiten. „Wie könnte ich es jemandem gestatten, meinen Körper zu besitzen, wenn er meinen Geist nicht zu fesseln vermag“, formuliert zum Beispiel die 36-jährige „AnamCara1“ in ihrer Selbstdarstellung.

Das will ich gerne auf einen Versuch ankommen lassen. Leider soll ich wieder zahlen, dieses Mal 14,90 pro Monat. Insidern zufolge haben diese Gebühren jedoch auch ihre gute Seite: Sie schrecken unseriöse, unzuverlässige Benutzer ab. Ich tröste mich damit, dass AnamCara1 mich sowieso hätte abblitzen lassen, steht sie doch nach eigenen Angaben „nicht auf Typen unter 40 Jahren und 1,90 Meter“.

Langsam werde ich ungeduldig, registriere mich parallel auf den Seiten freshsingle.de, playground.de und passion.com. Ich lade ein Foto von mir hoch, mit Sonnenbrille und freiem Oberkörper. Problemzonen lassen sich im Internet per Photoshop einfach wegschneiden. Dass ich am Schluss fast nur noch aus Schulter bestehe – egal.

Flucht vor der „1aStute"

Die Chats sind in verschiedene „Räume“ unterteilt, in die man je nach Vorliebe per Mausklick eintreten kann – nach freiwilliger Auskunft über die eigene „Penislänge“, versteht sich. Die Alternativen reichen dabei von „kurz“ bis „sehr lang“.

Ich plaudere jetzt im Raum „Strand“. Flirte mit „Carmen“ und „Nackedei30“ im „Whirlpool“. Schreibe mit „Marie“ heiße Mails auf dem „Rücksitz“ und flüchte im „Kerker“ vor der „1aStute", der man selbst in der Anonymität des Internets anzumerken glaubt, dass sie eigentlich Manfred heißt – vor lauter Geilheit mehr Schreibfehler als ein Erstklässler produzierend.

Wer mag, kann in Chats an einem Tag mehr Frauen ansprechen als Roberto Blanco in seinem ganzen Leben. Auch ein Korb tut weniger weh, wenn Ken Barbie dabei nicht direkt in die Augen schauen muss. Sogar für den Fall, dass sich der Chef nähert, ist gesorgt: Klickt man auf „Verstecken“, wird der sündige Bildschirm zur neutralen Wetterkarte.

Verabredung nach zwei Stunden Online-Gegurre

Irgendwann chattet mich „Anna24“ an. „Hallo Timo, wie war dein Tag?“, schreibt sie – gottseidank heiße ich nicht mehr „Rocko28“. Das Mädel sieht ein bisschen aus wie Yvonne Catterfeld, was ich ihr auch sofort sage. Der Spruch kommt gut, ebenso kleine Notlügen wie: „Hey, du interessierst dich auch für Pferde? Ich habe drei!“

Wir texten über Gott, die Welt und spannendere Sachen. Es stimmt: Frauen gehen im Internet offensiver vor als in der Disco, können sie doch jederzeit die Situation kontrollieren und müssen sich auch nicht von neidischen Geschlechtsgenossinnen schief anschauen lassen. Nach zwei Stunden Online-Gegurre verabreden wir uns.

Treffpunkt: das „Cafe Munich“ in Schwabing, ein öffentlicher Ort, so empfehlen es Dating-Experten. Weiß sie doch nicht, ob ich AZ-Redakteur oder Psychopath bin – oder beides. Ich komme zu früh, Anna24, die eigentlich anders heißt, ist pünktlich, steuert selbstbewusst auf meinen Tisch zu und fragt leise: „Bist du Timo?“ – „Ja“, hauche ich. Dass in erotischen Chats und Portalen nur Freaks herumgeistern: Sie gehört zu den aparten Gegenbeweisen.

Anna24 sucht Spaß – aber keine Beziehung

Kaum sitzen wir, klingelt mein Handy. Es ist die AZ, ich gehe nicht ran – und verpasse die News, dass sich Sandy und Boris getrennt haben. Anna24, die Anglistik-Studentin, ist interessanter. Warum sie im Internet auf die Balz geht, will ich wissen. Hat sie hier draußen etwa keinen Erfolg? „Naja, schon“, sagt sie leicht verlegen, „aber die Jungs verlieben sich meistens gleich in mich und für eine Beziehung fühle ich mich zurzeit einfach nicht bereit.“

Als die AZ erneut stört, tische ich ihr die Wahrheit auf: Dass sie nicht Objekt der Begierde sei, sondern der Recherche – für eine Sex-Serie! Und rechne mit einer unvirtuell-handfesten Watschn.

Doch Anna24 nimmt’s gelassen. Wir unterhalten uns noch eine Stunde. Fortsetzung folgt. Vielleicht real. Oder auch nur online. Im World Wide Bed.

Timo Lokoschat

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