Das Bäuerchen 2.0
MÜNCHEN - Münchner Mütter bloggen im Internet über ihren Alltag zwischen Windeln, Schwiegereltern und Krabbelgruppen – mit viel Humor und Erfolg
Sally ist kaputt. „Rollt nicht“, sagt Sascha und hält seiner Mutter Annette das Spielzeugauto hin. Die Unterlippe des Dreijährigen zittert. Annette Reiter klappt den Laptop zu. „Jetzt brauch’ ich gar nicht weiter schreiben“, sagt die 39-jährige Münchnerin. Dabei eilt es: Immer freitags erscheint die Blog-Kolumne „München-Manhattan“, die Reiter mit ihrer Freundin Vanessa Vollmann schreibt.
Elliott ist knatschig - da hilft nur der Cowboyhut
Und auch bei Vollmann herrscht Krisenstimmung: Sohn Elliott (3) ist knatschig. Da hilft nur der Cowboyhut. „Wenn ich den auf habe, wissen die Kinder, ich schreibe, sie dürfen mich nur in Notfällen stören“, sagt Vollmann. Zwar will Elliott nicht vom Arm der 38-Jährigen, aber statt zu quengeln, summt er vor sich hin. „So ist es mit Kind: Ein guter Plan und alles kommt anders“, sagt Vollmann.
Seit dem Sommer sind Reiter und Vollmann Mums 2.0: Mütter, die über ihren Alltag bloggen, über ihr Leben zwischen Baby, Brei und Bäuerchen. Banal? „Ach was, nur weil man auf einer Krabbeldecke das Baby bespaßt, hat man doch trotzdem noch Grips“, sagt Reiter.
Und Humor. Den braucht man, wenn man über die ersten Fältchen bloggt, über Ex-Schwiegereltern und das im Schlafzimmer nix mehr los ist.
Das Netz - eine optimale Plattform für Mütter
Das Internet ist einfach, mobil, günstig und stets verfügbar. Eine optimale Plattform für Mütter – und vor allem global. Denn weltweit beschäftigen Frauen mit Kleinkind ähnliche Themen. „Das hat uns wirklich überrascht. Die Hälfte der Leser stammt aus den USA“, sagt Reiter.
Dort bloggen Promis wie die Schauspielerin Gwyneth Paltrow (goop.com) oder die Regisseurin Tamra Davis (tamradaviscookingshow.com) über ihr Leben mit Kind. „Mütter-Blogs sind kein reines Tagebuch, sondern voller Tipps, die sich so in keinem Ratgeber finden“, sagt auch Daniela Doege aus Berlin.
In den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft mit Tochter Ana Maria (heute 2) suchte die gebürtige Münchnerin Möbel für’s Kinderzimmer. „Und alles war nur rosa, voller Rüschen oder nicht stabil genug“, sagt die 29-Jährige. Die Suche war mühselig – „und das musste doch auch anderen so gehen“, sagt Doege.
"Männer befassen sich weniger mit dem Nestbau"
Seit 2007 bloggt sich unter butterflyfish.de über Filzbilder, Gehirnkuchen und futuristische Kindersitze. 700 Besucher hat Doege etwa in der Woche – zumeist Mütter. „Die Männer befassen sich weniger mit dem Nestbau“, meint sie.
Dafür liebt Tochter Ana Maria den Blog. Vor allem, wenn sie das Spielzeug selbst testen darf. „Nur weil ich das Holzkamel toll finde, muss es ihr noch lange nicht gefallen“, sagt Doege. Klar, sei der Blog an manchen Tagen eine zusätzliche Belastung, „aber es macht Spaß, wenn ich Feedback von anderen bekomme, wie sehr ihnen die Tipps geholfen haben“, sagt Doege.
Rückmeldungen bekommen auch Reiter und Vollmann. So viele, dass sie aus ihrer Kolumne ein Buch gebastelt haben: „Schnuller, Sex und Selbstbewusstsein“ (Reiter Verlag, 12,90 Euro). „Das letzte fehlt den meisten Müttern“, sagt Reiter. Immer wieder versuche sie andere zum Schreiben zu animieren. „,Das kann ich nicht’, ,Da muss ich erst meinen Mann fragen’, ,Ich hab doch nichts zu erzählen’ – das sind die Standardausreden“, sagt Vollmann. „Dabei geht eine Frau gerade mit Baby auf Weltreise. Wenn das nicht eine Geschichte ist.“
Anne Kathrin Koophamel